Europe in Perspective – Wie eine neue Fortbildung entsteht und was sie bewirkt
Fort- und Weiterbildungen sind wichtiger Bestandteil des Arbeitsalltags von Lehrkräften – aber wie kommt es zu neuen Konzepten und Inhalten? Ein Blick hinter die Kulissen von „Europe in Perspective“, einer multinationalen Fortbildung zu den Themen Diversität, Europa und grenzüberschreitender Austausch.
Vor einem Jahr wurde die neue europäische Fortbildung einem ersten Praxistest unterzogen: „Von Tag zu Tag, aber auch von Training zu Training wurde das Konzept mit Hilfe der Rückmeldung der Teilnehmenden angepasst und weiterentwickelt“, erinnert sich Laura Mattick, Koordinatorin seitens der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e. V. – der leitenden Organisation auf deutscher Seite innerhalb des transnationalen Projekts „Europe in Perspective: Internationale Kooperationen in der Kulturellen Bildung“, das den Rahmen für die Entwicklungen setzt.
Eine Fortbildung, die Vielschichtigkeit verspricht: grenzübergreifend mit Partnern aus ganz Europa entwickelt und umgesetzt zu den Themen Diversität, Europa und Austausch im Schnittfeld von Kultur und Schule. Besonders wichtig ist den Partnern, dass die Teilnehmenden ihre eigene Position innerhalb dieser Themen finden.
„Wir wollen an der Haltung der Menschen arbeiten. Die Teilnehmenden entscheiden für sich, als Expert*innen für ihre Länder und jeweiligen Rahmenbedingungen, wie sie diesen Input in ihre Arbeit einbringen können. Wir geben Impulse, locken die Teilnehmenden raus aus ihrer Komfortzone und bringen sie zum Reflektieren“, erklärt Laura Mattick.
Eine weitere Idee hinter der Fortbildung sei es, den Teilnehmenden durch die eigene Erfahrung die vielfältigen Lernmöglichkeiten im Zusammenhang mit internationalen Begegnungsprojekten näherzubringen – und sie somit zu motivieren, selbst grenzüberschreitende Projekte mit und für junge Menschen zu initiieren.
Drei Pilotdurchgänge fanden 2018 in Berlin, Newcastle und Budapest statt, mit jeweils unterschiedlichen Teilnehmenden. Weitere drei Durchgänge folg(t)en 2019, in der die Übernahme des Konzeptes in die individuelle Logik unterschiedlicher Fortbildungsorganisationen getestet wird.
Kooperationen schulisch-außerschulisch: Europaweit im Fokus
Doch zurück zu den Anfängen: Seit mehreren Jahren kooperiert die BKJ mit der internationalen Stiftung Creativity, Culture and Education (CCE), die das aktuelle Projekt auf englischer Seite leitet. Daraus ergab sich das Vorgängerprojekt New Alliances for Europe, das durch die Stiftung Mercator gefördert wurde. Akteursgruppen aus verschiedenen Bereichen der Kulturellen Bildung wurden dabei zusammengebracht, und heraus kam: Kooperationen schulisch-außerschulisch stehen in ganz Europa klar im Fokus und sind potenzielle Motoren für die Verbesserung der Qualität kultureller Bildungsarbeit. „So haben wir den Ansatzpunkt für eine Fortbildung gefunden, die bislang noch gar nicht im Blickfeld von Schule und deren Umfeld stand“, erinnert sich Laura Mattick.
Der Grundstein für Europe in Perspective war gelegt: es soll eine multinationale Fortbildung entwickelt werden, die sich an Lehrkräfte aller Schultypen und -stufen sowie gleichzeitig an Vermittler*innen der außerschulischen Kulturellen Bildung richtet. Für den Aufbau eines Fortbildungskonzepts mit fünf Trainingstagen wurden unter den Partnern Themen ermittelt: Diversität, Europa und grenzüberschreitender Austausch.
Weiterentwickelt wurden die Ideen zusammen mit 15 Organisationen aus zahlreichen Ländern Europas, die sich mit Fortbildung im Bereich der Kulturellen Bildung und mit Lehrerfortbildung beschäftigen. Während sich die europäischen Fortbildungsorganisationen noch nicht kannten und sich nun für dieses Projekt vernetzen, bilden die BKJ und die Stiftung CCE als leitende Organisationen eine Konstante. Wie schon das Vorgängerprojekt wird auch Europe in Perspective von der Stiftung Mercator finanziert, neu hinzugekommen ist die Unterstützung von der Europäischen Union im Rahmen des Programms Erasmus+ Jugend in Aktion.
Gemeinsame Kooperationserfahrung
Das Interesse an der Teilnahme an einer professionsübergreifenden, multinationalen Fortbildung ist groß: über 90 Tandems aus 24 Ländern haben sich auf die 33 Plätze für die Fortbildungen in 2019 beworben. Bei der Auswahl wurde eine größtmögliche Vielfalt und Vielstimmigkeit angestrebt, sowohl bezüglich der Regionen Europas als auch bezüglich der Repräsentation der Schul- und Kunstformen. Festes Kriterium war jedoch, dass die Tandems schon gemeinsame Kooperationserfahrung nachweisen konnten.
Eines dieser Tandems kommt aus Bielefeld: Marion Börtz von der Friedrich Wilhelm Murnau-Gesamtschule und Christiane Lutterkort von der Kunsthalle. An gemeinsamer Kooperationserfahrung mangelt es den beiden Institutionen nicht, seit mehr als 20 Jahren arbeiten sie eng zusammen: „Die Klassen können frei zu jeder Ausstellung kommen – mit oder ohne Führung/Kreativaktion“, erklärt Christiane Lutterkort, die in der Kunsthalle für Bildung und Vermittlung zuständig ist. Zudem werden zu jeder aktuellen Ausstellung spezielle Workshops und Führungsangebote entwickelt: „Die meisten Gruppen buchen einen geführten Rundgang und setzen sich im Anschluss mit einem Thema künstlerisch-gestalterisch auseinander.“
Über das Programm „Kulturagenten“ kommen Klassen der FWM-Gesamtschule teilweise über einen längeren Zeitraum – bis zu fünf Tage – in die Kunsthalle und entsprechend intensiv sei die Arbeit, teilweise mit vorgegebenen Themen, vor Ort. „Diese Projekte schließen oftmals auch mit einer Präsentation der Ergebnisse in der Kunsthalle oder in der Schule ab, bei einem langfristigen Projekt entwickelten und präsentierten Jugendliche sogar ihre eigene Ausstellung“, so Christiane Lutterkort.
„Das Thema Diversity spielt auch in meinem Museumsalltag eine große Rolle, so dass die angekündigten Themen Neugierde geweckt hatten“, erklärt Christiane Lutterkort zur Teilnahme an Europe in Perspective. Neue Blickwinkel und Sensibilisierung für das Thema Vielfalt habe die Fortbildung ihr gebracht, aber auch Antworten auf: Wie kann ich unterschiedliche Gruppen einbinden, welche Angebote müssten vorliegen und wie kann ich das umsetzen?
„Aber auch für meine Arbeit mit meinem Team von Kunstvermittler*innen habe ich neue Methoden erlernt bzw. konnte ich bekannte auffrischen. Mir wird künftig noch mehr daran gelegen sein, gruppendynamische Prozesse bei längerfristigen Projekten – etwa Ferienspielen oder Projektwochen – stärker zu befördern“, betont sie. Für ihr Team plane sie nun eine Fortbildung, bei der sie diese Methoden anwenden und vorstellen werde.
Bundesweite Pionierarbeit
Die Fortbildung, an der das Tandem aus Bielefeld teilgenommen hat, fand an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel statt. Auf sie kam die BKJ 2017 zu, erinnert sich Projektreferentin Jacqueline Streit: „Seit 2014 ist die Bundesakademie Wolfenbüttel für die Konzeption und Umsetzung der begleitenden Fort- und Weiterbildungsangebote des niedersachsenweiten kulturellen Schulentwicklungsprogramms SCHULE:KULTUR!“ zuständig. Daher kann sie eine mehrjährige Expertise in der Fortbildungsentwicklung für Kooperationspartner aus dem Bereich Schule und außerschulische Kulturelle Bildung aufweisen.“
Zum Themenfeld Diversität stärkt die Bundesakademie im Kunst- und Kulturbereich die Fortbildungslandschaft vor allem durch ihren bundesweit agierenden „Kompetenzverbund Kulturelle Integration und Wissenstransfer (KIWit)“. „Diese Kernkompetenzen zu bündeln und sich inhaltlich in das transnationale Fortbildungskonzept miteinzubringen, war für die Bundesakademie eine interessante Gelegenheit, um über ihren genuinen bundesweiten Bildungsauftrag Teil des europaweiten Netzwerks zu werden und in einen länderübergreifenden Austausch mit vergleichbaren Akteur*innen zu kommen“, so Jacqueline Streit. Bei der Herangehensweise von Europe in Perspective spricht sie von bundesweiter Pionierarbeit, da die Fortbildungen zu Diversität grenzüberschreitend gedacht und durchgeführt werden.
Das Feedback der Teilnehmenden sei äußerst positiv ausgefallen, so Jacqueline Streit: „Zunächst einmal spiegelten uns die Teilnehmenden, dass diese intensive Zusammenarbeit im Tandem äußerst bereichernd ist, da im Alltag wenig Zeit für so einen übergeordneten Austausch bleibt.“ Dies ist ganz im Sinne von Laura Mattick, auch sie betont:
„Tandems sind wichtig – dass Menschen gemeinsam durch diese Erfahrung gehen. Einerseits ist es Luxus, so viel Zeit mit dem*der Partner*in zu verbringen, über das gemeinsame Projekt zu reflektieren, es weiterzuentwickeln. Andererseits gibt es auch Sicherheit, auf diesem internationalen Parkett mal wieder in der Muttersprache zu sprechen und die Möglichkeit, Inhalte tiefer zu durchdringen.“
Ebenfalls geschätzt wurde von den Teilnehmenden an der Bundesakademie, dass die Fortbildung keine abgeschlossenen „Erfolgsrezepte“ transportiere, sondern eine umfassende explorative Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, dem Konzept „Europa“ und dem Umgang mit Vielfalt zulasse. „In diesem Zuge werden eigene Handlungsmechanismen hinterfragt und die Sensibilisierung und das Bewusstsein für Diversität werden geschärft. Durch den länderübergreifenden Austausch wird die interkulturelle Kompetenz gestärkt“, erklärt Jacqueline Streit.
Bereitschaft und Motivation, Verantwortung zu übernehmen
„Dass wir auf ein so großes Interesse von anderen Organisationen stoßen, ist sehr erfreulich, diesen Faktor konnten wir nicht planen. Es gibt eine wahnsinnige Bereitschaft und Motivation, Verantwortung zu übernehmen“, so Laura Mattick. Trainer*innen aus neun Ländern führen 2019 die Fortbildungen in multinationalen Teams durch.
„Die Rolle des Trainers, der Trainerin ist sehr entscheidend, das Konzept verlangt ihnen sehr viel ab: multinationale Ebenen, nicht immer angenehme Themen, etwa die eigene Verortung in Machstrukturen oder Diversität. Das ist anspruchsvoll. Umso wichtiger, es gut zu vermitteln. Die Trainer*innen brauchen einen gewissen Erfahrungsschatz, um dem gerecht zu werden“, so Laura Mattick.
Die erarbeiteten Qualifizierungsmodule sollen veröffentlicht und zur Übernahme in eigene Fortbildungsmaßnahmen frei zur Verfügung gestellt werden. Neben Beschreibungen der einzelnen Methoden werden auch das Gesamtkonzept und Zusammenhänge der Fortbildung erläutert. Dennoch gibt Laura Mattick zu bedenken, dass bei derart vielschichtigen Prozessen sehr viel „zwischen den (schriftlich fixierten) Zeilen“ passiert. Dies sei beim Selbststudium des Materials immer zu beachten. Bis Ende 2019 sollte das Material auf Englisch online zur Verfügung stehen, verschiedene Partnerorganisationen beabsichtigen es danach in ihre jeweiligen Landessprachen zu übersetzen.
Noch finden die Fortbildungen in sehr enger Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort und mit finanzieller Unterstützung der Initiatoren statt, bald soll sich das europäische Projekt verselbständigen: „Die grundlegende Ausrichtung und die Inhalte stehen nun fest, nun soll die Zusammenarbeit mit den Partnern vor Ort im Mittelpunkt stehen. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, das Konzept in ihrer Organisation auszuprobieren und erste Erfahrungen auf multinationaler Ebene zu machen. Die Erfahrungen aus diesem Prozess sollen dann motivieren und Strategien anregen, auch nach Ende des Projektes 2019 solch eine transnationale Perspektive in der eigenen Arbeit zu erhalten“, erklärt Laura Mattick.
Intensives Eintauchen und unmittelbares Umsetzen
Positiv gewertet wurden von den Teilnehmenden in Wolfenbüttel, dass die Erfahrungen und einzelne Fortbildungsmethoden unmittelbar in die Unterrichtspraxis oder Projektarbeit mit Schüler*innen einfließen können. Und nicht zuletzt können im Rahmen der Fortbildung auch diversitätsbewusste, grenzüberschreitende Austauschprojekte mit Schüler*innen angeregt und entwickelt werden. Weiteren Fortbildungsdurchläufen stehe die Bundesakademie Wolfenbüttel deshalb sehr offen gegenüber, so Jacqueline Streit. Und auch in ihre Arbeit fließen schon jetzt einzelne Bestandteile der Fortbildung ein. Das Konzept von Europe in Perspective scheint also hier schon mal aufzugehen.
Auch Christiane Lutterkort von der Kunsthalle Bielefeld betont: „Ich bin sehr glücklich, an dieser Fortbildung teilgenommen zu haben. Die Intensität – Zeitdauer und Tagesprogramm – war zwar anstrengend, ermöglichte aber eben auch ein sehr intensives Eintauchen in die Themenkomplexe.“