„Wir wollen Entlastung schaffen“
„Schule: Global“, die Initiative des AJA Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch, setzt sich für eine bessere Vernetzung schulischer und außerschulischer Akteure im Bereich Schüleraustausch ein. Schulen erhalten im Projekt Unterstützung in Form von Weiterbildungen, Workshops, Coachings und Netzwerken – und ein Siegel. Vor drei Jahren startete die Umsetzungsphase, damit geht für die ersten Schulen bereits der erste Zyklus zu Ende.
Marieke Boin Soares, Trainerin aus dem Schule:Global-Team, gibt Einblicke und freut sich über neue Bewerbungen von Schulen.
Schule:Global ist noch recht jung und mitten in der Pandemie gestartet. Wie sind die aktuellen Entwicklungen bei Aufbau und Etablierung?
Marieke Boin Soares: Wir zählen aktuell 49 ausgezeichnete Schulen, die 50. Schule ist in der Pipeline. Wir sind trotz Pandemie, die natürlich mit Zurückhaltung seitens der Schulen verbunden war, sehr gut gestartet. Die erste Schule geht nun bereits in den zweiten Auszeichnungszyklus.
Die Veranstaltungen, die wir zuletzt angeboten haben, waren ausgesprochen gut besucht. Für unser digitales Weiterbildungsangebot „Jugendaustausch to go“, das wir mit „Austausch macht Schule“ zusammen anbieten, gab es knapp 100 Anmeldungen und über 70 Teilnehmende.
Alle drei Monate werten wir unsere Arbeit aus. Mittlerweile haben wir fast 1.000 Schulen mit unseren Angeboten erreicht. Das ist eine sehr gute Zahl für nur drei Jahre, die überwiegend von der Pandemie geprägt waren. Außerdem haben wir festgestellt, dass wir mittlerweile in aller Munde sind: vom Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz werden wir in einem Merkblatt explizit empfohlen und auch auf politischer Ebene werden wir gesehen.
Gerade gibt es sehr viele Bestrebungen, länderübergreifend in Deutschland aktiv zu werden und das findet bei uns tatsächlich statt. Unsere Schulen im deutschlandweiten Netzwerk sprechen miteinander und lernen voneinander, darüber freuen wir uns sehr.
Schule:Global hat sich vorgenommen, interkulturelles und internationales Lernen an Schulen zu verankern. Konnte das erreicht werden?
Ja, zu 100 %. Unsere Coaches machen im ersten Schritt gemeinsam mit der Schule eine Bedarfsanalyse. Wo steht die Schule aktuell, welche Projekte und Maßnahmen gibt es? Und wo will die Schule hin? Daraus werden individuelle Maßnahmen für die Schule abgeleitet, bei deren Umsetzung der Coach auch unterstützt. Wir haben ja nun bereits ein paar Schulen, die länger dabei sind. Wir können genau den Effekt beobachten, den wir uns erhofft haben: Es entstehen Synergien zwischen den Fachschaften, so dass nicht mehr nur sprachliche Fächer in das Thema involviert sind. Zu unseren Siegel-Schulen gehören nicht nur Gymnasien, sondern insbesondere auch andere Schulformen, in denen es einen weniger sprachorientierten Fokus gibt. Gerade da ist es wichtig, dass andere Fachschaften mit ins Boot geholt werden.
Besonders gut funktioniert das im Bereich Kunst und Sport. Aber auch MINT und Gesellschaftswissenschaften. Letztere eignen sich gut gerade im Hinblick auf das diversitätsbewusste Lernen. Dadurch wird dieses Thema als ein Teil der Schule wahrgenommen und bildet immer mehr ein Fundament für das generelle Miteinander, aber auch für gemeinsames Lernen.
Zum Beispiel haben wir eine Förderschule in unserem Netzwerk: Diversitätsbewusstsein ist dort nicht nur auf das Interkulturelle bezogen, sondern auch auf die Individualität von jedem Menschen. Es ist sehr schön, dass diese Unterschiedlichkeit nicht als Mangel wahrgenommen wird, sondern Vielfalt als persönliche Wahlmöglichkeit zu betrachten.
Engagierte Lehrkräfte bzw. Schulen sind oft schon am Limit. Warum sollen sie nun auch noch bei Schule:Global mitmachen?
In Zeiten der Pandemie herrschte eher Zurückhaltung, wegen der Befürchtung, dass Schule:Global viele zeitliche Ressourcen einnimmt. Dabei ist unser Ziel genau das Gegenteil:
Mit unserem Coaching schaffen wir Entlastung. Die benötigten zeitlichen Ressourcen werden weniger, weil wir Synergien schaffen. Es hängt nun nicht mehr alles an einer „Einzelkämpfer-Lehrkraft“, sondern man kann die Aufgaben innerhalb der Schule gut verteilen. Zudem erhält die Schule auch über das Schule:Global-Netzwerk viele Ressourcen, Knowhow und Tipps, dass man am Ende Zeit sparen kann. Wer sich zum Beispiel mit einer Frage zum Erasmus+ Antrag quält, findet in unserem Netzwerk bestimmt jemanden, der vor der gleichen Hürde stand und diese bereits genommen hat. Mittelfristig geht so alles schneller.
Unser Vorgehen passt sich den Schulen an: Wir setzen genau da an, wo die einzelne Schule steht. Wir geben nicht vor, was die Schule erreichen muss, uns geht es darum, dass das Thema in den Schulalltag integriert wird und ein Bewusstsein dafür da ist. Da bei uns nicht Gelder abgerufen werden, sondern Unterstützungsleistung durch Menschen, sind wir recht flexibel.
Wir bieten zum Beispiel für 8. und 9. Klassen einen Präventionsworkshop namens Kulturtauchen an. Dieser wird durch uns durchgeführt, womit sich die zeitlichen Ressourcen für die Schulen im Rahmen halten und gut planbar sind. Oder das Format „Jugendaustausch To Go“, das wir beim InnovationsHub von „Austausch macht Schule“ entwickelt haben: Man kommt in direkten Kontakt mit den außerschulischen Trägerorganisationen. Wenn man sich erstmal kennt und den Überblick über die vielfältigsten Möglichkeiten hat, geht es plötzlich unheimlich geschmeidig.
Es geht bei Schule:Global nicht nur um internationalen Austausch, sondern auch um interkulturelle und diversitätsbewusste Bildung auf breiter Ebene. Das fängt ganz basal an, es sind Themen, die jede:n Einzelne:n betreffen: Ich habe zum Beispiel eine Schule im Coaching, deren Kollegium sich aus sehr vielen verschiedenen Nationalitäten zusammensetzt – es ist unheimlich hilfreich, wenn sich die gesamte Schule mit dem Thema befasst.
Wie kann eine interessierte Schule Teil von Schule:Global werden?
Wir versuchen auch hier, den Aufwand so gering wie möglich zu halten. Hier kann eine Erstberatung angefragt werden, danach gilt es einen kurzen Antrag zu stellen. Vor der Aufnahme als Mitglied des Schule:Global-Netzwerks sind uns zwei Dinge wichtig:
- Dass im Schulprofil wenigstens ein Satz integriert ist, der sich für interkulturelle und diversitätsbewusste Bildung und ein tolerantes Miteinander ausspricht.
- Dass sich die Schule drei Ziele im Zusammenhang mit interkultureller und diversitätsbewusster Bildung setzt. Diese müssen gar nicht so hochgegriffen sein. Ein solches Ziel kann zum Beispiel lauten: „Wir möchten, dass unsere Lehrkräfte an Fortbildungen von Schule:Global zu interkulturellem Lernen teilnehmen“ oder „Unsere Schülerinnen und Schüler sollen am Projekt Kulturtauchen teilnehmen“.
Die Schulen stehen mit unseren Coaches in Kontakt und bekommen bei der Formulierung dieser Ziele bei Bedarf Unterstützung. Und die Ziele können im Zweifel im Coachingprozess auch angepasst werden. Das Schöne an Schule:Global ist, dass wir ganz individuell arbeiten und keiner Nachweispflicht unterliegen. Wir sagen: Herzlich Willkommen, wir unterstützen und helfen euch.
Kürzlich hat das Netzwerktreffen von Schule:Global stattgefunden. Welche Themen sind für Ihre Mitglieder aktuell?
Drei Netzwerktreffen gab es seit Beginn, eins in Präsenz und zwei online, im September folgt das nächste wieder in Präsenz. Das Treffen richtet sich an alle Schulen im Netzwerk bzw. mit laufendem Antrag, also 49+x Schulen. Teilnehmen kann die Schulleitung, aber auch zum Beispiel die Schulsozialarbeiterin oder der Schulsozialarbeiter – alle wirkenden Personen und Interessierte sind willkommen.
Die Themensetzung entwickeln wir aus den Bedarfen heraus, die die Schulen selbst benennen. Unsere Coaches tauschen sich regelmäßig untereinander aus und sammeln solche Themen, zudem nehmen wir aus den Netzwerktreffen jeweils Inspiration für die Folgeveranstaltung mit. Das Spektrum ist groß, die Themen gehen von Barrierefreiheit in Projekten über Queersein im Austausch bis hin zu Erasmus+ und eTwinning.
Für das Netzwerktreffen im September sind folgende Themen geplant: Wie kann man die Last auf mehrere Lehrkräfte verteilen und Synergieeffekte schaffen, was passiert, wenn die Austausch-Person an der Schule in Rente geht? Und auch: Wie gestalten wir interkulturelle Bildung nachhaltig – im Sinne von, dass etwas an der Schule bleibt und verankert wird, wenn die Schüler:innen, die an einem Austausch oder Workshop teilgenommen haben, die Schule verlassen. Bei unserem Angebot „Kulturtauchen“ zum Beispiel möchten wir Jugendliche zu Multiplikator:innen ausbilden, sodass die Schule irgendwann an den Punkt kommt, dass die älteren den jüngeren Jahrgangsstufen das Thema näherbringen können.
Wir versuchen auch an der Schulentwicklung mitzuwirken: Wie geht man mit Widerständen, Gegenwind oder Desinteresse um? Wie können wir Vernetzung stattfinden lassen und auch ein Austausch zwischen Schulen fördern? Es gibt bei den Netzwerktreffen immer sehr viel Bedarf, sich auszutauschen, auch länderübergreifend. Das Rad muss nicht immer neu erfunden werden, es muss vielleicht ein bisschen angepasst werden an die eigene Situation. Aber es ist sehr zeitsparend, von der Erfahrung von anderen Schulen zu hören und dieses Wissen aus erster Hand zu bekommen.
Eine Lehrkraft in unserem Netzwerk bietet zum Beispiel Erasmus+ Schulungen an, wir können bei Bedarf mit ihr vernetzen. Oder auch zu eTwinning, denn es muss nicht immer eine Austauschreise sein. eTwinning funktioniert sehr gut, wenn die Schule noch nicht soweit ist für eine Begegnung, oder wenn es Hürden gibt, etwa weil Geflüchtete in der Klasse sitzen, für die aufenthaltsrechtlich kein Auslandsaufenthalt möglich ist. Da ist gerade auch der Kontakt, den wir mit außerschulischen Bildungsträgern herstellen können, sehr wertvoll.
Was sind nächste Schritte, die Sie angehen?
Für die Schulen ändert sich im zweiten Zyklus, dass sie vermehrt ihre Erfahrungen im Netzwerk gut teilen können. Die Themen werden im zweiten Zyklus größer, der Blick geht raus aus der Fachschaft Fremdsprache rein in alle Bereiche, thematisch zum Beispiel hin zu „sozialem Lernen im interkulturellen Kontext“.
Inhaltlich ändert sich für uns, dass wir bei der Weiterentwicklung im Sinne der Schulen Schritt halten müssen und unseren Fortbildungskatalog vergrößern wollen. Wir würden gerne zum Beispiel das Kulturtauchen nicht nur an Schulen, sondern auch außerschulisch durchführen.
Was hat Sie zuletzt besonders gefreut?
Dass wir mittlerweile die volle Anerkennung durch die öffentliche Hand genießen. Wir haben das Projekt vor der Lancierung allen Kultusministerien vorgestellt, anfangs sind nicht alle mitgegangen. Nun werden wir von öffentlicher Hand explizit erwähnt als beratende Institution – das ist auch für Schulen sehr wichtig, um mit uns zusammen arbeiten zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Bertschi.