Globales Lernen – früh übt sich
Eine kleine Dorfgrundschule im Spreewald pflegt eine Schulpartnerschaft mit Bangladesch. Aus einer persönlichen Beziehung entstand ein Brief-Austausch auf Englisch und auf deutscher Seite Projekttage zu Globalem Lernen.
Die Kinder sitzen mit geschlossenen Augen im Kreis, mit einer Traumreise geht es zur Partnerschule: Erst steigen wir ins Flugzeug, dann geht es durch das Gewusel der Hauptstadt von Bangladesch, weiter mit einer Busfahrt über Land, draußen sehen wir Wasserbüffel. Irgendwann steigen wir um in ein Auto, über eine ewig lange Brücke, zwischen den Flussarmen kommen immer wieder Inseln.
Endlich angekommen an der Partnerschule, nehmen uns die Kinder an die Hand, zeigen uns das Gebäude, am Eingang müssen wir die Schuhe ausziehen, wir setzen uns auf den Boden, denn Tische und Stühle gibt es nur in den höheren Klassen. Die bengalische Lehrerin sagt: „Liebe Kinder, ihr fragt euch bestimmt, wie das Leben in Deutschland, bei unseren Gästen, aussieht?“.
Und mit dieser Frage sind die Kinder wieder zurück in ihrer Realität und fragen sich: Wie sind wir Deutschen überhaupt? Sind wir alle pünktlich oder meckern ständig, mögen wir wirklich alle Fußball, essen wir alle am liebsten Bratwurst? Natürlich nicht, widersprechen die Kinder und lachen. Die Schüler:innen lernen zu verstehen, dass Kulturstandards Stereotype sind, die nicht auf alle Menschen eines Landes zutreffen. Das sollen sie im Hinterkopf behalten, bei allem was sie im späteren Verlauf über Land und Leute erfahren.
Persönliche Kontakte nach Bangladesch
Ein Tag der beiden Herbst-Projektwochen ist dem Bangladesch-Austausch gewidmet. Dass sich die Projektwochen mit dem Thema Umweltschutz beschäftigen, passt gut – aber ein Anknüpfungspunkt lasse sich bei jedem Thema finden, so Kathrin Zwiebler. Sie ist mit 19 Jahren aus Missen im Spreewald für ein Workcamp nach Bangladesch gereist und hat dort ihren Mann kennengelernt. Gemeinsam sind sie nach Missen zurückgekehrt, haben den Kontakt nach Bangladesch gehalten und über die Jahre die NGO NETZ Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V. unterstützt.
Mit dem Schuleintritt der eigenen Kinder vor zehn Jahren kam der Gedanke, die entwicklungspolitische Bildung an die Schule zu holen. Und damit ist Kathrin Zwiebler an der Lindengrundschule in Missen auf offene Ohren gestoßen – entstanden ist eine Schulpartnerschaft, die Projekttage, Briefkontakte aber auch Spendensammlungen für die Partnerschule umfasst. NETZ Bangladesch erarbeitet, neben der Entwicklungszusammenarbeit als Hauptaufgabe, selbst Bildungsmaterialien im Bereich des Globalen Lernens: „Alle zwei Jahre leitet eine Referentin von NETZ unseren Projekttag, dazwischen übernehme ich. Das funktioniert gut, auch wenn ich beruflich etwas ganz anderes mache. Ich bekomme die Materialien und Ablaufpläne und muss sie nur noch ein bisschen den Gegebenheiten vor Ort anpassen“, erklärt Kathrin Zwiebler.
Dass in Bangladesch doppelt so viele Menschen leben wie in Deutschland führt zu Erstaunen. Ebenso die Tatsache, dass 50 Kinder in einer Schulklasse, in einem viel kleineren Klassenzimmer, lernen – und das auch am samstags! Doch für viele Kinder besteht der Tag nicht nur aus Schule und Freizeit, sondern auch aus der Arbeit in Textilfabriken. „Die Textilindustrie in Bangladesch hat aufgrund der Arbeitsbedingungen einen schlechten Ruf. Aber andererseits bietet sie dem rohstoffarmen Land Arbeitsplätze. Nicht auszudenken, wenn es sie nicht gäbe“, gibt Kathrin Zwiebler zu Bedenken. Das Ziel müsse also sein, sie umwelt- und sozialverträglicher zu gestalten.
Umweltbewussten Umgang schulen
Und was hat das nun mit den Kindern in Missen zu tun? „Geht ihr achtsam mit eurer Kleidung um? Wird sie neu gekauft und danach weggeschmissen, oder von Kind zu Kind weitergegeben? Werden Löcher gestopft – oder der Mode zuliebe bewusst reingeschnitten?“ Kathrin Zwiebler lässt die Kinder sich aufstellen – ja nach links, nein nach rechts. Sogar die Klassenlehrerin Gabriela Kasimir ist erstaunt, wie viele Familien einen umweltbewussten Umgang mit Kleidung pflegen: „Bei manchen dürfte aber eher der finanzielle Aspekt als die Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen.“
Die Viertklässler:innen sind wissensdurstig und aufmerksam – aber viele Exkurse und Erklärungen sind nötig, um die Zusammenhänge zu vermitteln: Wo liegt Asien? Was sind Kinderrechte, was die Kinderrechtskonvention? Wie viele Stunden arbeiten wir, wie viele die Fabrikarbeiterinnen in Bangladesch? Doch schließlich geht es zum Thema: Wo kommt meine Jeans her? „Aus Deutschland, wo ich sie gekauft habe, sie sieht doch so deutsch aus!“, ist sich ein Junge sicher.
Es wird aufgedröselt: Was ist an einer Jeans alles dran – vom Stoff über die Waschanleitung bis zu den Nieten? Die Baumwolle wird in Indien angebaut, das Schnittmuster in den USA hergestellt, in Tunesien wird gefärbt, in Bulgarien veredelt. Als zehntes Land kommt Bangladesch, wo genäht wird. Und dann, als elftes Land, endlich Deutschland mit dem Verkauf. „Eure Klamotten machen eine Weltreise, bevor sie bei euch ankommen“, erklärt Kathrin Zwiebler. „Das ist kacke für die Umwelt“, raunt es aus den hinteren Reihen. „Wir müssen mehr Sorge tragen, nicht immer noch mehr kaufen“, fasst ein Mädchen zusammen. „Fast alle meine Hosen sind geflickt“, erkennt ein Schüler nicht ohne Stolz, und ergänzt: „außer die hier heute – ah doch, die ist auch genäht am Knie.“
Das „Sorge tragen“ wird konkret umgesetzt: „Manche von euch lassen ihre Jacke am Nachmittag achtlos an der Garderobe hängen – weil sie drei oder vier Jacken haben und am nächsten Tag einfach eine andere anziehen können“, so die Klassenlehrerin. Eine Challenge wird ausgerufen: einen Monat lang nichts hängen oder liegen lassen – dafür verspricht Frau Kasimir etwas Besonderes, „und ihr seid dann Vorbild für die ganze Schule!“
Wissen weitervermitteln
Für das Herbstfest malen die Schüler:innen Plakate, um ihr Wissen weiterzuvermitteln. Und fragen aufgeregt, wann sie denn wieder Englischunterricht haben. Denn der Projekttag ist nur der Auftakt für die vierte Klasse. Danach werden in den verbleibenden knapp zwei Jahren ihrer Grundschulzeit Briefe mit der Partnerschule in Bangladesch ausgetauscht und immer mal wieder etwas über Bangladesch gelernt. Eine kleine Ausstellung an Zeichnungen und Briefen der vergangenen Jahre vermittelt einen Vorgeschmack: Der Zeichenstil ist ganz anders, auf jedem Bild ist die bengalische Flagge zu sehen, und das Gebäude ist vielleicht die Schule? Das Interesse ist geweckt.
Ein Beitrag von Christine Bertschi