Interkulturelle Bildung und Integration in der Schule
Im Mittelpunkt der Studienreise, die vom 11. bis zum 14. März 2018 nach Berlin ging, stand der fachliche Austausch zwischen Vertreter:innen des polnischen und des deutschen Bildungssystems. Organisiert wurde die Fahrt von der Kreisau-Initiative e.V. und der Stiftung für gesellschaftliche Vielfalt (Fundacja na Rzecz Rzecz Różnorodności Społecznej).
Die Teilnehmenden an der Studienfahrt – Psycholog:innen, Schulleiter:innen, Beamt:innen, Mitarbeitende von Universitäten sowie andere Fachkräfte aus verschiedenen polnischen Städten – setzen sich in ihren Einrichtungen für Integration und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationserfahrungen ein. In Berlin bekamen sie die Möglichkeit, an fünf verschiedenen Einrichtungen mit deutschen Kolleg:innen ins Gespräch zu kommen, die ihrerseits mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergründen arbeiten. Hier sind das Geflüchtete, aber auch Eingewanderte oder Personen, die in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind, nicht aber z.B. in einem deutschsprachigen Kontext.
Menschen mit Migrationshintergrund gibt es auch in Polen
Anlass für die Studienreise war die wachsende Zahl von Schüler:innen mit Migrationserfahrung im polnischen Bildungssystem. Schon in der Vorbereitung, da wir nach Einrichtungen, Institutionen oder Einzelpersonen suchten, die sich aktiv mit unserem Thema auseinandersetzen, begegneten uns oft Reaktionen wie: „Aber in Polen gibt es doch keine Menschen mit Migrationshintergrund!“
Dass das nicht stimmt, bewiesen unsere Gäste aus polnischen Städten wie Białystok, Grudziądz, Łuków, Sopot, Warszawa und Wrocław. Sie meinten, dass man die Zahlen in Deutschland und in Polen nur schwer vergleichen kann. Trotzdem sei der Bedarf nach neuen pädagogischen Lösungsansätzen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene notwendig.
Ein volles Programm in Berlin
Die Studienreise bestand aus vier Projektteilen: einem Vorbereitungstreffen des Leitungsteams in Berlin, einem Vor- und Nachbereitungstreffen für die Teilnehmenden aus Polen in Warschau und der Studienreise selbst.
Durch Besuche und Gespräche mit Mitarbeitenden der fünf verschiedenen Einrichtungen - „Schule ohne Rassismus“, Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Karlsgarten-Grundschule, Schule am Königstor sowie Schule Eins - hatten sie die Möglichkeit, sich die Idee von Willkommensklassen, den Umgang mit Multikulturalität im Schulunterricht, Initiativen gegen Fremdfeindlichkeit und Radikalisierung von Jugendlichen anzuschauen sowie generell mehr über das Berliner Schulsystem zu erfahren.
Erkenntnisse und offene Fragen
Es überraschte die Teilnehmenden aus Polen sehr, dass es keine konkreten Richtlinien für die Lehrpläne in den Willkommensklassen gibt und dass Lehrkräfte den Fokus auf den Erwerb der Sprache statt auf die Inhalte legen. Sehr positiv wurde auch das große Engagement von Eltern und Freiwilligen (z.B. Rentner:innen) im Schulleben aufgenommen. Hervorgehoben wurden außerdem Haltungen von einzelnen Lehrkräfte, die individuell auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen eingehen und viel Mut und Flexibilität bei der Suche nach neuen Lösungen beweisen. Obwohl die so genannten Willkommenspakete und Unterrichtsmaterialien des Senats von den Schulen selbst kritisch gesehen werden, wurden sie von den Teilnehmenden aus Polen als eine Unterstützung durch den Senat gelobt.
Offen blieben für die Vertreter:innen aus Polen Fragen z.B. nach psychologischer Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, nach Unterstützung und Integration in den regulären Klassen (nach einem Aufenthalt in den Willkommensklassen), zum Handeln im Konfliktfall auf rassistischer Ebene etc.
Es gab auch Beobachtungen von ähnlichen Herausforderungen der beiden Bildungssysteme, wie z.B. die Unterstützung von Lehrkräfte bei der Umsetzung und Vorbereitung des Unterrichts in den Willkommensklassen, wenig Förderung für Unterrichtsmaterialien und anderer didaktische Hilfsmittel. In der Evaluation der Studienreise wurden auch einige Lösungsvorschläge genannt, die sofort eingeführt werden könnten, z.B. die verstärkte Arbeit in kleinen Gruppen oder die Einführung von Mentor:innen für neue Schüler:innen mit Migrationserfahrungen, die selbst Schüler:innen aus den jeweiligen Schulen sein könnten.
Etwas, was nach Meinung der Vertreter:innen aus Polen gesetzlich geändert werden müsste, ist z.B. der Name der so genannten Vorbereitungsabteilungen („oddziały przygotowawcze“) - so heißen die Willkommensklassen heutzutage in Polen. Der Name Willkommensklassen wurde von den Teilnehmenden aus Polen viel positiver und einladender aufgefasst.
Leider gab es während der Besuche nie genug Zeit um alle Fragen zu beantworten und alles zu sehen. Unsere Besuche bei den Berliner Einrichtungen stellen nur Beispiele dar. Uns war bewusst, dass es noch viel mehr pädagogische Lösungsansätze in Berlin gibt.
Nächste Schritte
Das Projekt soll weiterentwickelt werden. Der nächste Schritt ist die Übersetzung eines Forschungsberichts (Die Beschulung neu zugewanderter und geflüchteter Kinder in Berlin. Praxis und Herausforderungen) aus dem Deutschen ins Polnische, der sich in der Vorbereitung der Studienreise als sehr nützlich erwies.
Darüber hinaus gibt es auch schon Ideen für einen Gegenbesuch in Warschau, der zum Ziel hätte die Rolle der so genannten interkulturellen Begleiter:innen und das System der pädagogischen Diagnostik und Förderung bei Lernschwierigkeiten vorzustellen. Diese Lösungsansätze wurden von den Teilnehmenden als wenig entwickelt im Berliner Schulsystem wahrgenommen.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen, die uns inhaltlich und finanziell unterstützt haben!
Kreisau-Initiative e.V. und Fundacja na Rzecz Różnorodności Społecznej
Das Projekt wurde gefördert durch die Initiative „Austausch macht Schule“ und das Deutsch-Polnische Jugendwerk.