Ein „Wir-Gefühl“ durch internationale Austausche
Erhard Hönes leitete von 1992 bis 2012 das Ferdinand-Porsche-Gymnasium Zuffenhausen in Stuttgart. Im Gespräch mit „Austausch macht Schule“ spricht er über die Rolle des Schulleiters beim Aufbau und der Pflege von internationalen Austauschprojekten und Partnerschaften.
20 Jahre lang haben Sie das Ferdinand-Porsche-Gymnasium geleitet. Wie haben Sie an Ihrer Schule Partnerschaften angestoßen?
Eine große Rolle spielte die Stadt Stuttgart mit ihren Städtepartnerschaften. Zum Beispiel mit St. Louis im Staat Missouri in den USA, daran konnten wir anknüpfen. Oder auch mit Frankreich und England.
Gerne wollten wir aber auch Schulpartnerschaften aufbauen, die soziale Unterschiede deutlich machen. So kam es zu den jährlich stattfindenden Austauschen mit China und Indien. Auch hier kamen die Verbindungen über die Stadt Stuttgart zustande: die Kultur- und Schulbürgermeisterin hat uns den Kontakt zu einer High School in Peking vermittelt. Unsere Partnerschule in Indien haben wir gefunden, als ich mit einer Delegation des Oberbürgermeisters in Mumbai war. Gleich vor Ort haben wir eine Vereinbarung unterschrieben.
Dass an unserer Partnerschule Deutsch angeboten wird, war eine wichtige Voraussetzung für mich: durch unsere Partnerschaft können wir so das Deutsche fördern, Impulse setzen. Das ist ein Nebeneffekt der Schüleraustausche, den wir bewirken wollten – und das Interesse an Deutschland und dem Deutschunterricht an dieser Schule hat dadurch wirklich enorm zugenommen.
Als Schulleiter hat man ja viel um die Ohren. Wie kamen Sie darauf, sich um internationale Austausche zu kümmern?
Das Porsche-Gymnasium hat eine sehr heterogene Schülerschaft – ich wollte ein „Wir-Gefühl“ aufbauen. Dafür gibt es natürlich verschiedene Methoden. Aber stellen Sie sich mal vor: Eine Gruppe von 15 Schülerinnen und Schülern, die eine Woche zusammen in Indien verbringen, den größten Slum Asiens besuchen, und danach auch noch Sammel- und Spendenaktionen für Kinder organisieren. Über diese Fremd-Erfahrung und das gemeinsame soziale Engagement entsteht ein Wir-Gefühl. Die sagen nachher nicht mehr „Du Türke“ oder „Du Spanier“, sondern „Wir waren in Indien“.
Wenn bei unseren internationalen Projekten nicht Deutsch gesprochen wird, dann Englisch. Auch wenn der Aspekt der Sprache nachgeordnet ist, haben unsere Schülerinnen und Schüler dadurch einen weiteren Wissenszuwachs. Im Zusammenhang mit unseren Austauschaktivitäten mit China haben wir auch eine Chinesisch-AG gegründet. Da das Land Baden-Württemberg nur sehr vorsichtig einsteigt mit Chinesisch-Unterricht, haben wir dies selbst organisiert. 20 bis 30 Jugendliche besuchen diese AG nun jedes Jahr. Nach dem China-Austausch ist jeweils das Interesse an Land und Sprache geweckt, manche unserer ehemaligen Schülerinnen und Schüler haben sogar ein Studium in China aufgenommen!
Gerade was den Austausch mit China betrifft, spielen natürlich auch politische Aspekte mit rein. Wenn sie der Frage nachgehen, was eine Demokratie ausmacht, stärkt das letztlich das bürgerliche Bewusstsein der Jugendlichen.
Mit welchen Schwierigkeiten an der Schule mussten Sie kämpfen?
Wie bei jedem Vorhaben waren die Schwierigkeiten meist finanzieller Art. Ein interessanteres Thema ist aber die Elternarbeit: Eltern zu überzeugen ist nicht immer leicht. Doch ich würde es „Das Wunder am Porsche-Gymnasium“ nennen: Wir hatten nie Probleme, Gastschüler*innen in Familien unterzubringen! Das ist natürlich auch den Lehrkräften zu verdanken, die mit mir zusammen gute Überzeugungsarbeit geleistet haben. Denn auch die Eltern profitieren von den Austauschprojekten: Ich kenne Familien, die sind nach dem Austausch nach Indien geflogen, es haben sich Familien-Freundschaften entwickelt. Und auch die Stuttgarter Eltern untereinander lernen sich durch die Austauschprojekte kennen. Letztlich bekommen dadurch auch die Eltern eine stärkere Bindung zur Schule, das stärkt die Corporate Identity, die Eltern sind ganz nah dran!
Doch nochmal zurück zu den Finanzen: Uns war es wichtig, einen Sozialtopf zu schaffen, damit niemandem aus finanziellen Gründen der Zugang zu einem Schüleraustausch verwehrt bleibt. Diesen Sozialtopf haben wir schulintern gegründet und mit Spendengeldern und durch Sponsoren gefüllt. Was uns aus finanzieller Sicht auch half: das Porsche-Gymnasium ist eine PASCH-Schule, und auch unsere Partnerschulen in Indien und China gehören dem PASCH-Netzwerk an. Vernetzung ist wichtig, man muss in Netze hineingehen und Verbindungen knüpfen.
Wie kam Ihr internationales Engagement bei den vorgesetzten Behörden an?
Behördengänge sind immer schwierig. Die Stadt Stuttgart ist aber sehr flexibel, es gibt ein Amt für Auslandsbeziehungen mit sehr engagierten Mitarbeitern – wie so oft hängt es an den einzelnen Menschen.
Wie haben Sie Ihre größte Herausforderung bezwungen?
Die größte Herausforderung entstand wohl im Zusammenhang mit dem China-Projekt. Zusammen mit dem Kultusministerium Baden-Württemberg, der Firma Porsche und der Robert Bosch Stiftung organisierten wir eine große Veranstaltung, um für Austauschformate mit China zu werben. Wir wollten dabei das Land Baden-Württemberg mit ins Boot holen, Chinesisch-Unterricht etablieren und uns mit anderen Schulen mit Interesse an China vernetzen.
Woher haben Sie sich Unterstützung geholt bei Ihren Vorhaben?
Als Schulleiter konnte ich das alles natürlich nicht alleine gestalten, ich brauchte Kolleginnen und Kollegen. Leitung heißt ja auch Führung.
Ich erfuhr von einer Mitarbeiterin des Goethe-Instituts in Manchester, die zurück nach Stuttgart wollte, und holte sie ans Porsche-Gymnasium. Eine Frau mit vielen Erfahrungen und Verbindungen, sie leitete fortan unsere Internationale Abteilung. Diese internationale Abteilung an unserer Schule hat sich mit der Zeit ergeben – wir brauchten einfach eine Stelle, wo die Informationen zusammen laufen.
Welche Auswirkungen haben die internationalen Austausche auf die Schule?
Als letzte Diensthandlung als Schulleiter habe ich 2012 eine internationale Klasse eingerichtet. Schüler*innen, die von uns für diese Klasse ausgewählt wurden, werden zusammen mit Gastschüler*innen unterschiedlicher Herkunft für ein Schuljahr in Klassenstufe 10 in den meisten Fächern auf Englisch unterrichtet. Die Gäste besuchen zudem das Fach „Deutsch als Fremdsprache“ und leben in Gastfamilien. Dieses Projekt hat sich aus den internationalen Schulpartnerschaften entwickelt.
Was würden Sie anderen Schulleitungen empfehlen: Wo anfangen?
Das hängt natürlich davon ab, wie die Schule strukturiert ist, wo traditionell die Interessen liegen. Wenn Interesse an internationalen Partnerschaften da ist, muss man es systematisieren, in das Schulleben integrieren, didaktisch in das Curriculum einbauen. Es darf kein Appendix sein, sondern muss hineinpassen, im Bildungsauftrag verankert sein. Anfangen kann man zum Beispiel, indem man da anknüpft, wo schon etwas da ist: Zu wem hat die Stadt Kontakt?
Für Lehrkräfte ist die Organisation eines internationalen Austauschs mit viel Aufwand verbunden – wie holt man sie trotzdem mit ins Boot?
Ein Austauschvorhaben ist für Lehrkräfte ein großer Aufwand: Engagierte Lehrer*innen leisten unglaublich viel. Wir brauchen Lehrer*innen mit großem Idealismus und der Überzeugung, dass es der Bildung nützt. Gott sei Dank gibt es viele solche Lehrkräfte!
Bestimmt ist es für manche Lehrer*innen schwieriger als für andere: Wenn man drei kleine Kinder zuhause hat, fährt man nicht mal eben für zwei Wochen nach Indien. Aber die Freiräume kommen ja wieder, und ich habe erlebt, dass sich die Kolleginnen und Kollegen dann auch melden und engagieren wollen.
Es braucht natürlich Überzeugungsarbeit: motiviere, lobe, initiiere! Das gehört zum Job des Schulleiters, der Schulleiterin. Viele, viele Gespräche sind notwendig. Man muss sich ein Netz von Mitstreiter*innen schaffen, und schließlich eine kleine Abteilung.
Es besteht ja das Vorurteil, dass Lehrer nicht über den Tellerrand schauen würden. Entgegen dieser Behauptung vermitteln sie mit den Austauschprojekten Themen aus dem Unterricht nochmal auf ganz andere Weise: den Klimawandel, Migration, Arm-Reich – dies und vieles mehr behandeln wir im Unterricht und vertiefen es im Austausch. Zudem lernen die Lehrkräfte ihre Schüler*innen bei einem Austauschprojekt von einer ganz anderen Seite kennen. All dies kann dem Schulleiter nur recht sein.
Im Großen und Ganzen kommen die Lehrkräfte zurück und sind begeistert. Kein einziges Mal habe ich gehört „Wir mussten uns schämen wegen eines Schülers, er hat sich daneben benommen“ – das ist schon eine Freude für sich! In Bezug auf das oft negativ gemalte Bild von Jugendlichen heute: Das kann ich nicht bestätigen, ich erlebe das Verhalten der Jugendlichen als hocherfreulich! Die Welt sieht so aus, wie man sie selbst gestaltet: Wenn man diese Gestaltungsfreiräume hat, sollte man sie nutzen!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Bertschi.
Die Fotos stammen vom letzten Indien-Austausch des Ferdinand-Porsche-Gymnasiums Zuffenhausen