Ein gutes Team: Digitalisierung und Internationalisierung
„Wir haben einen kräftigen Schub in der Digitalisierung durch unsere internationale Arbeit bekommen“, sagt Barbara Stieldorf vom Düsseldorfer Max-Weber-Berufskolleg. Dabei hat die Schule jenen, die erst seit Corona nach digitalen Strategien suchen, einiges voraus. Um sich noch besser aufzustellen, hat sie sich letztes Jahr von der Pacemaker Initiative coachen lassen.
„Wir standen an einem Scheideweg. Wir wollten die Digitalisierung stärken, aber ich hatte die Befürchtung, einige Kolleg*innen abzuhängen“, erinnert sich Barbara Stieldorf. Sie ist am Max-Weber-Berufskolleg in Düsseldorf für digitale Projekte verantwortlich – und auch für Internationales. 2018 war das, damals war die Schule schon in mehreren Erasmus+ Projekten aktiv, oft auch mit Bezug zu Digitalthemen, zudem als Europaschule ausgezeichnet und mit bilingualem Unterricht im Curriculum.
Doch die Schule wollte noch einen Schritt weitergehen – und dabei alle mitnehmen. Mit einem neuen Ansatz und externer Unterstützung hoffte Barbara Stieldorf nun, das Thema Digitalisierung wieder für alle zu öffnen. „Und zudem fanden wir die Idee, die Schüler*innen mehr in den Fokus zu rücken, extrem spannend“, ergänzt sie. So entstand die Zusammenarbeit mit Pacemaker.
In der Pacemaker Initiative haben sich EDUCATION Y und Teach First Deutschland zusammengeschlossen, in Düsseldorf wirken sie mit Unterstützung der IHK und vier Unternehmen. Ihr Ziel: Schüler*innen auf die digitale Arbeitswelt vorzubereiten, durch einen mit digitalen Hilfsmitteln sinnvoll unterstützten Unterricht. Beim Auftaktgespräch vor zwei Jahren wurde klar: Die Schule ist schon auf sehr gutem Weg, Pacemaker kann sie darin nochmal bekräftigen.
Digitalisierung mit internationalen Austauschprojekten verknüpfen
Aber von vorne, denn sowohl internationale Arbeit als auch Digitalisierung gehören am Max-Weber-Berufskolleg schon lange zum Schulalltag. 2012 hat Barbara Stieldorf sich mit Leonardo, dem Vorgängerprogramm von Erasmus+ für den beruflichen Austausch, auseinandergesetzt:
„Wir wollten gerne Auslandspraktika starten. Dafür brauchten wir Multiplikator*innen – und wer ist der beste Multiplikator? Der Lehrer im Klassenraum! Doch die Lehrkräfte wollten natürlich auch wissen, was so ein Auslandspraktikum bringt. Deshalb haben wir mit Lehrermobilitäten gestartet.“
Für das Leonardo-Programm brauchte die Schule ein Thema: Digitalisierung. Das Thema war für die Schule aktuell, denn sie hatte gerade die ersten iPads gestellt bekommen – und die iPads lagen rum. „Bei der Digitalisierung wird immer über die Ausstattung gesprochen. Aber genauso wichtig sind die didaktischen und methodischen Konzepte. Es heißt: jeder muss ein iPad haben – aber wir müssen auch wissen, was wir damit machen können“, erklärt Barbara Stieldorf. Erst als sie gemerkt habe, dass der Schulleiter ihrer Partnerschule, dem Oulu vocational college aus Finnland, ganz neidisch war auf die iPads, erkannte sie deren Wert.
Gleichzeitig wurde ihr klar: es gibt zur Didaktik nichts auf dem Markt, was ihnen als Berufsschule hilft. Gemeinsam mit der finnischen Schule haben sie sich deshalb nach anderen Partnern umgeguckt und sind der Frage nachgegangen, wie sie smarte Tools in den handlungsorientieren Unterricht einsetzen können. Daraus entstand im Rahmen von Erasmus+ die Strategische Partnerschaft „Changing Paradigm“, mit vier Berufsschulen aus Italien, Österreich, Finnland und Deutschland. Und gleichzeitig hat die Schule – ebenfalls über Eramus+ – im großen Stile Auslandspraktika gestartet.
Zur gleichen Zeit startete die Bezirksregierung mit der Universität Paderborn zusammen ein Projekt, wo es darum ging, wie man auf moderne Art und Weise Praktikumsbetreuung machen kann. Hier schloss sich die Schule an, dabei ist ein Blog über die Auslandspraktika des Berufskollegs entstanden. Unter den Blogbeiträgen der Schüler*innen findet sich deshalb öfter ein Dankeschön und auch Rückfragen von Barbara Stieldorf und ihren Kolleg*innen.
Durch ihre internationale Arbeit habe die Schule einen kräftigen Schub in der Digitalisierung bekommen, erzählt Barbara Stieldorf. Und führt gleich noch weitere Beispiele an: In Finnland haben sie über deren Unterrichtskonzepte gesprochen und die Lehrkräfte, die dort waren, durften mit Staunen feststellen: „So schlecht ist es gar nicht bei uns in Deutschland!“. Dass ihnen in einem Vorzeigeland wie Finnland nicht nur auf Augenhöhe begegnet wird, sondern sie sogar Vorbild sein können, habe die Lehrkräfte beflügelt. „Auch war zum Beispiel unser Besuch aus Norwegen fasziniert davon, wie wir die Jugendlichen miteinbeziehen durch Schülercoachings, Unterricht in Medienkompetenz und generell die Aktivierung von Schüler*innen“, so Barbara Stieldorf.
Austausch innerhalb des Kollegiums
Für Berufskollegs fehle es oft an passenden Weiterbildungen, so Barbara Stieldorf. Der Austausch mit Schulen aus anderen Ländern sei daher eine Bereicherung. Durch Pacemaker kam jedoch noch eine zusätzliche Komponente hinzu: die Möglichkeit, mit Schul-Externen an der Unterrichtsentwicklung zu arbeiten. Und auch, sich innerhalb des Kollegiums auszutauschen – dies fehle im Alltag oft.
In einem jeweils einjährigen Prozess begleitet Pacemaker in Düsseldorf fünf Schulen pro Jahr. Eine Absprache mit dem Schulverwaltungsamt und das Interesse der Schule liegen der Zusammenarbeit zugrunde. Denn die Initiative möchte Schulen unterstützen, die sich auf den Weg gemacht haben und die Impulse gut umsetzen können. „Das Max-Weber-Berufskolleg war vom Mindset sehr weit. Sie wussten genau, welche Bedarfe sie haben. Sie wollten die Schüler*innen partizipieren lassen und das ganze Kollegium – über 100 Lehrkräfte – mitnehmen“, lobt Kolja Brandtstedt von der Pacemaker Initiative.
Für die Schüler*innen organisierte Pacemaker Workshops, externe Referent*innen haben im Tandem mit Lehrkräften vor Ort gemeinsam Unterrichtsszenarien entwickelt und sich ausgetauscht. „Alle Skeptiker kriegen wir natürlich nicht ins Boot“, relativiert Barbara Stieldorf. Das wolle sie auch gar nicht. Sondern die, die ein bisschen Angst haben, aber eigentlich gerne möchten.
Auch Brandtstedt betont: die Leute, die sich unsicher sind mit digitalen Angeboten, möchte Pacemaker aktivieren. „Wir wollen nicht vollends ausbilden, das können die Lehrkräfte meistens auch selber oder im Kollegium. Aber sie sollen mal Fragen stellen und Bedarfe äußern können.“
Der einjährige Prozess mit Pacemaker ist abgeschlossen, aber in dessen Netzwerk ist die Schule immer noch aktiv. Jetzt sind die Pacemaker an der Nachbarschule, die auch im Schulnetzwerk aktiv ist, es ergeben sich Synergien. Und als eine Delegation aus Norwegen an der Schule zu Besuch war, war Pacemaker eingeladen, ihr Programm vorzustellen.
Das echte Europa erleben
Barbara Stieldorf kommt selbst nicht aus einer klassischen Akademikerfamilie. Deshalb, so erzählt sie, liege es ihr besonders am Herzen, dass ihre Schüler*innen Europa erleben: „Nicht All-Inclusive auf Mallorca, sondern das echte Europa. Dafür sind die EU-Gelder da, dass diesen Jugendlichen die Chance gegeben wird und sie diese großartige Erfahrung von Europa und dessen kultureller Vielfalt machen können.“ Für die Berufsschüler*innen sei das oftmals die letzte Chance auf eine internationale Erfahrung auf ihrem Bildungsweg. „Wir haben viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, und die sind auf der Suche nach Identität. Jeder, der mal eine Zeit lang im Ausland gelebt hat, hat da erstmals richtig über seine Identität nachgedacht. Und das ist für die ein extrem großer Schatz“, betont Barbara Stieldorf.
Für die Berufskollegs macht sich Barbara Stieldorf stark: „Die privilegierten Gymnasien müssen nicht alles von dem Kuchen abkriegen!“ Da viele der Jugendlichen nicht den Weg des Studiums gehen, bleibt ihnen zum Beispiel ein Erasmus-Semester verwehrt. Berufspraktika im Ausland seien deshalb eine gute Alternative, erzählt sie:
„Wir hatten ein großartiges Experiment mit Französisch-Guyana, das schrägste Fleckchen Erde wo ich hingereist bin. Jetzt haben diese Schüler*innen ihr Abschlusszeugnis bekommen und sie sagten, sie werden das nie in ihrem Leben vergessen. Einer, er hat sein Praktikum bei einem Raumfahrtunternehmen absolviert, möchte sich sogar dort bewerben. Die Jugendlichen haben begriffen: das ist auch Lernen, nicht nur das Lernen für Klausuren, sondern das Lernen im Land. Das sehen wir auch als unseren Bildungsauftrag im Sinne von Europa.“
Um Schüler*innen und vor allem Betriebe davon zu überzeugen, ein Auslandspraktikum als gewinnbringend zu sehen, hat die Schule zwei Zusatzqualifikationen eingeführt: „Internationales Marketing und Außenhandel“ ist schon sehr etabliert und vonseiten der Betriebe gefragt. „Internationale berufliche Mobilität“ ist eine neue, auf Erlass der Landesregierung initiierte, Zusatzqualifizierung.
Europa an die Schule holen
Der Aufenthalt in Französisch Guyana war Teil des Erasmus+ Projekts „Europe 4.0“ – und bestand auch aus einem Gegenbesuch: Elf Schüler*innen kamen nach Düsseldorf, ebenfalls für ein Auslandspraktikum. „Für sie war das natürlich hier in Düsseldorf noch eine extremere Erfahrung als für unsere Schüler*innen dort“, lacht Barbara Stieldorf. Einen Praktikumsplatz für ausländische Jugendliche in Deutschland zu finden sei schwieriger als umgekehrt – aber nicht minder wichtig, betont sie:
„Die Betriebe sollen auch die andere Seite kennenlernen und selbst einen Jugendlichen aus Spanien oder Französisch-Guyana aufnehmen. Für viele Deutsche ist es eine Herausforderung, wenn ihr Gegenüber wenig Deutsch spricht, oder sie selbst Englisch sprechen sollten. Europa nach Düsseldorf holen, das versuche ich auch!
Wir haben immer wieder ausländische Kolleg*innen bei uns. Wer bei uns an der Schule arbeitet, muss auch mal mit einem Kollegen aus Norwegen ein Bier trinken gehen. Und das tut gut, um auch den Kolleg*innen den Horizont wieder zu öffnen. Auch das kollegiale Hospitieren auf internationaler Ebene, wenn ein Kollege aus Südtirol mit in den Unterricht kommt, gehört bei uns dazu.“
Diesen Ansatz lobt auch Kolja Brandtstedt: „Genauso wie die internationalen Projekte ist auch die Digitalisierung im Schulprogramm verankert. Es ist nicht nur ein Projekt, um sich zu profilieren, sondern integriert in den Schulalltag – schon fast Routine. Wir finden es toll, dass sich die Schule, auch schon bevor wir da waren, so positioniert hat.“
Barbara Stieldorf geht indes die Arbeit nicht aus: „Digitalisierung ist immer ein Prozess. Das ist das erste, was die Kolleg*innen lernen müssen: Digitalisierung bedeutet, über Unterricht kontinuierlich zu sprechen, eine Unterrichtseinheit ist nicht auf Dauer fertig. Ausgelernt hat man nie.“