Good Practice

Handelsschulen im Austausch

Deutsch-niederländische Partnerschaft zwischen der Oscar-Tietz-Schule in Berlin und dem Deltion College in Zwolle
Live-Begegnung der Azubis in Berlin 2023

Joanna Szaflik-Homann, Lehrerin und Europa-Koordinatorin an der der Oscar-Tietz-Schule in Berlin, berichtet über die deutsch-niederländische Partnerschaft mit dem Deltion College in Zwolle und über die speziellen Herausforderungen des Berufsschul-Austauschs.

Austausch digital

Dezember 2021, Berlin und Zwolle. Jasmin stellt ihren Ausbildungsalltag in einer Präsentation in englischer Sprache vor. Sie steht vor der gesamten Klasse und: vor der Kamera, denn neben ihren Mitschüler*innen schauen sich ihren Beitrag auch Schüler*innen und Lehrkräfte des Deltion Collegs aus Zwolle in den Niederlanden an.
Die beiden Schulen haben eine Videokonferenz organisiert, um sich gegenseitig über die Ausbildung in den beiden Ländern auszutauschen. Auch die holländischen Schüler*innen stellen kurz ihre Praktikumsbetriebe vor. Diese Begegnung findet aufgrund von Corona-bedingten Einschränkungen digital statt.

Austausch live

Live-Begegnung der Azubis in Berlin 2023

Januar 2023, Berlin. Zehn Schüler*innen aus dem Deltion College besuchen die Oscar-Tietz-Schule und verbringen zwei Projekttage mit einer Gruppe von Auszubildenden im 2. Lehrjahr. Im Zentrum des Programms steht die berufliche Bildung in den Partnerländern. Beide Schulen haben eine wirtschaftliche Ausrichtung und bilden Verkäufer*innen und Kaufleute aus. Dieses gemeinsame Thema bildet einen roten Faden für die Begegnung.

In bilateralen Gruppen befassen sie sich mit einer Reihe von Aufgaben, die ihnen einerseits einen Einblick in das andere Ausbildungssystem gestattet und andererseits, einen direkten, unkomplizierten Austausch mit ihrer Peergroup aus dem Nachbarland ermöglicht.

Auf dem Programm steht u.a. ein Vergleich der Ausbildungsformate in beiden Ländern. Der Austausch sorgt für Diskussionen und Überraschungen. Während die Unterrichtsinhalte sich zum Teil ähneln, ist die Organisation der Ausbildung diametral unterschiedlich. Die Niederländer*innen genießen eine vollschulische Ausbildung, die durch ein unbezahltes Praktikum erweitert wird. Das deutsche duale Ausbildungssystem, in dem der praktische Ausbildungsteil im Betrieb eine große Rolle spielt, erstaunt die Gäste. Vor allem wundern sie sich über die Vergütung während der kompletten Ausbildungszeit.
 
Eine weitere gemeinsame Aktivität bezieht sich auf den Einzelhandel. Die Teilnehmer*innen besichtigen in gemischten Gruppen ein Verkaufszentrum und sammeln Eindrücke und Informationen über die Organisation der Einzelhandelbetriebe. Zu diesem Zweck führen sie Gespräche mit Verkaufspersonal, schauen sich das Sortiment, die Verkaufsformen sowie Marketingmaßnahmen an. Anschließend werden die gesammelten Informationen in einer Fotocollage dargestellt und im Plenum besprochen. Das Ganze wird von interkulturellen Aktivitäten begleitet, um das Kennenlernen und die Integration beider Gruppen zu unterstützen. Englischkenntnisse sind hier von Vorteil, aber auch diverse Übersetzungsapps helfen dabei, die Kommunikationsbrücke zu bauen.

Die Vorteile einer Begegnung vor Ort liegen auf der Hand: Die Teilnehmenden verbringen gemeinsam zwei Tage, an denen sie sich intensiv über ihren schulischen und beruflichen Alltag unterhalten können. Genauso wichtig ist aber auch der informelle Austausch über Musik, Sport, Spiele und andere verbindende Themen. Ein virtuelles Projekt kann dies nicht leisten. Jedoch sind Videokonferenzen eine hervorragende Möglichkeit für die erste Kontaktanbahnung, für Evaluationstreffen oder für das Aufrechterhalten der Kooperation.

Partnerschaft

Live-Begegnung der Azubis in Berlin 2023

Die Zusammenarbeit beider Schulen hat schon eine längere Geschichte. Die Schüler*innen des Deltion College besuchen die Oscar-Tietz-Schule regelmäßig seit 2018. Am Anfang trafen sich die Jugendlichen lediglich zu einer gemeinsamen Führung durch die Schule. Diese wurde von einem kurzen Gespräch begleitet. Das zuständige Lehrerinnen-Team hat schnell festgestellt: Die Begegnung zwischen den Auszubildenden muss länger und intensiver sein. So wurde das Programm auf zwei Tage erweitert. In dieser Zeit haben die Jugendlichen die Chance, sich persönlich besser kennen zu lernen und Gleichaltrigen aus dem Nachbarland näher zu kommen. Das pädagogische Ziel dabei ist der Ausbau von interkulturellen und sozialen Kompetenzen, sowie das Empowerment der Beteiligten.

Die Oscar-Tietz-Schule hat in diesem Jahr eine Erasmus+ Akkreditierung erlangt und nun kann eine Auszubildenden-Gruppe nach Zwolle entsendet werden, so dass auch Berliner Schüler*innen die Lernumgebung der niederländischen Partner kennenlernen können.

Herausforderungen

Die beschriebene Schulpartnerschaft mag einen bescheidenen Eindruck machen, wenn man sich die weltweiten, bunten und intensiven Kontakte anderer Schulen anschaut.

Doch steht die Internationalisierung gerade bei beruflichen Schulen vor relativ großen Herausforderungen.

Profil der Azubis

Live-Begegnung der Azubis in Berlin 2023

Viele Auszubildende an der Oscar-Tietz-Schule haben nur begrenzte Möglichkeiten an internationalen Austausch- und Begegnungsprojekten teilzunehmen. Ihre finanzielle Lage, Reisebeschränkungen aufgrund ihrer Herkunft oder ihr soziales Umfeld führen zum fehlenden Selbstbewusstsein und der Überzeugung, dass solche Programme nicht für sie geschaffen sind. Die bisherigen Erfahrungen in der schulischen Laufbahn aber auch im privaten Umfeld münden darin, dass viele nur ein geringes Interesse und kaum Motivation zeigen, an zusätzlichen Bildungsangeboten teilzunehmen. Sie erkennen keinen Mehrwert bei einem Auslandsaufenthalt und sehen es manchmal gar als ein Hindernis beim Erreichen eines schnellen Schulabschlusses gepaart mit einer festen Einstellung, die finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit bietet.

Rolle der Ausbildungsbetriebe

Schule ist nur einer der zwei Partner bei der dualen Berufsausbildung. Aus diesem Grund ist es notwendig, die Ausbildungsbetriebe in die Austauschprojekte einzubeziehen. Dies ist nicht immer einfach, denn die Betriebe – gerade im Bereich des Handels – sind oft auf die Arbeitskraft der Auszubildenden in ihrem tagtäglichen Geschäft angewiesen. Eine Auslandserfahrung der künftigen Angestellten spielt in diesem Bereich eine untergeordnete Rolle und wird daher nicht immer unterstützt. Hier ist eine langfristige partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Schule und Betrieb, sowie die Unterstützung weiterer Akteure, z.B. der Industrie- und Handelskammer, nötig.

Die ganze Schule macht mit

Joanna Szaflik-Homann

Langfristig werden die jährlichen Besuche der Schüler*innen und Auszubildenden in beiden Ländern fortgesetzt. Das Ziel dabei ist es jungen Menschen, die nur selten an internationalen Projekten teilnehmen und ein geringes Interesse an solchen Begegnungen zeigen, die Möglichkeit zu bieten, sich gegenüber neuen, grenzüberschreitenden Erfahrungen zu öffnen.

Um dieses Ziel umzusetzen, müssen der Austausch als Querschnittsaufgabe der Schule begriffen und regelmäßige Kooperationsaktivitäten in das Schulprogramm aufgenommen werden. Auch eine persönliche Pflege der Kontakte zum niederländischen Lehrerteam, fortbestehende Aktualisierung des Zusammenarbeitskonzepts sowie Planung künftiger Vorhaben müssen zu einem festen Bestandteil der Arbeit werden.

Bereits jetzt existiert ein reger Austausch in Form von Studienbesuchen und Hospitationen. So hospitierte einer der engagierten Kollegen aus Zwolle drei Wochen lang an der Oscar-Tietz-Schule, er führte Unterricht durch, nahm an Fachkonferenzen teil und besuchte Ausbildungsbetriebe. Auf diesem Wege konnte er den Alltag eines beruflichen Oberstufenzentrums besser kennenlernen und das Modell der dualen Ausbildung genauer zu verstehen.

Eine Gruppe von vier Kolleg*innen aus der Oscar-Tietz-Schule hospitierte auch am Deltion College. Beteiligt waren hier neben Lehrkräften auch Fachleiterinnen und die Schulleitung. Dies ist von besonderer Bedeutung, denn für das Gelingen der Kooperation und für die Integration der internationalen Austausche in das Schulprogramm ist das Engagement der Leitungsebene unabdingbar.

Alle bisherigen Austauschprogramme – sowohl für Lehrkräfte als auch für die Lernenden - fanden mit der Unterstützung des EU-Programms Erasmus+ statt.

Inhaltlich bei der Umsetzung des internationalen Vorhabens greift das zuständige Lehrer*innen-Team auf Erfahrungen und wertvolle Hinweise anderer Stakeholder zu, beispielsweise Berichte anderer Schulen. Organisatorisch werden Hilfsmittel wie die Toolbox von Austausch macht Schule zur Hilfe gezogen.

Joanna Szaflik-Homann
Lehrerin und Europa-Koordinatorin an der der Oscar-Tietz-Schule in Berlin

Veröffentlicht am: 17.03.2023