Dossiers

Jugendliche beim Schüleraustausch: Weit mehr als eine Reise

Campus und Karriere (DLF), Sendung vom 20. Januar 2018, 14:05–15:00

Als neuer Präsident der Kultusministerkonferenz schlug Helmut Holter einen gezielten Schüleraustausch zwischen Ost- und Westdeutschland vor, um den innerdeutschen Dialog zu fördern. "Wir brauchen nicht nur Schülerprojekte im Austausch mit Polen oder Frankreich, sondern auch zwischen Leipzig und Stuttgart", sagt Holter. Der Deutsche Lehrerverband kann diesem Vorschlag wenig abgewinnen. Präsident Heinz-Peter Meidinger hält dagegen, dass viele Schulen schon alle Hände voll zu tun hätten, den USA- und Frankreichaustausch am Laufen zu halten.

Dabei bieten diese Begegnungen den Jugendlichen besondere außerschulische Lernerfahrungen und sind damit mehr als nur Kurztrips mit touristischen Sehenswürdigkeiten. Campus & Karriere fragt: Welche Potentiale bietet ein Austausch für die schulische Bildung? Welche Bedeutung messen Schulleiter und Eltern internationalen Austauschprojekten bei? Wie kann Schulaustausch erhalten und ausgebaut werden? Was macht eine gelungene Begegnung aus? Wie sollten sich Schüler und Lehrer darauf vorbereiten?

Studiogäste:
Bernd Böttcher, Projektkoordinator "Austausch macht Schule"
Saskia Herklotz, Deutsch-Polnisches Jugendwerk
Maik Böing, Lehrer am Gymnasium Kreuzgasse in Köln

Moderation: Regina Brinkmann

R. Brinkmann:
Mehr Schüleraustausch innerhalb Deutschlands, also zwischen Ost und West, das wünscht sich der neue Präsident der Kultusministerkonferenz, Helmut Holter. Darüber wurde in dieser Woche viel diskutiert. Bei uns in Campus und Karriere geht es heute aber weniger um die Frage, ob Jugendliche nun eher nach Dresden oder nach Dublin zum Schüleraustausch reisen sollten, vielmehr wollen wir uns damit beschäftigen, was Schülerinnen und Schüler eigentlich dabei lernen, wenn sie etwa europäische Partnerschulen besuchen, an gemeinsamen Projekten arbeiten und für einige Tage in Gastfamilien leben. … Man sieht sie auf der Homepage vieler Schulen: Fotos von Schülerinnen oder Schülern, die ihre Partnerschule in Frankreich, Polen oder Russland besucht haben. Eindrücke und Erfahrungen, von denen manch einer noch lange zehren wird. Ja, und über ein deutsch-polnisches Austauschprojekt das gerade in diesen Tagen in Brandenburg stattfindet, hören wir im Laufe dieser Sendung noch mehr [Einspieler Dt.-Poln. Jugendaustausch], in der wir heute über Schüleraustausch reden und welche Bildungschancen er eigentlich bietet.

Und dazu begrüße ich unsere Gäste Saskia Herklotz vom Deutsch-Polnischen Jugendwerk in Warschau, Mail Böing, Lehrer am Gymnasium Kreuzgasse in Köln, und Bernd Böttcher, Projektkoordinator der Initiative Austausch macht Schule.

[01:45] R. Brinkmann:
Herr Böttcher, Berlin meldet sinkende Teilnehmerzahlen bei Austauschprogramme. Der deutsche Lehrerverband will von neuen Austauschprojekten innerhalb Deutschlands nichts wissen, weil Schulen ja jetzt ohnehin schon alle Hände voll zu tun hätten, um ihren USA oder Frankreich-Austausch überhaupt am Laufen zu halten. Das klingt jetzt nicht so, als gäbe es gerade einen Run auf Schüleraustausche.

B. Böttcher:
Wir können natürlich beobachten, dass großes Interesse auch am Austausch besteht, aber, ich glaube, viele Schulen müssen auch sehen, wo sie diesen Austausch in ihrem Schulalltag unterbringen, und wie sie es angesichts vielleicht auch anderer Themen und Herausforderungen, die an sie gerichtet werden, möglich machen, Schülern und Schülerinnen das Erlebnis eines internationalen Austauschs zu gewährleisten. Also von daher sehe ich darin eine Herausforderung, dass man jetzt noch mehr und anderen Schüleraustausch sicherstellen will.

R. Brinkmann:
Können sie einmal eine Entwicklung skizzieren, Wie sich das im Laufe der Zeit entwickelt hat? Austausch gibt es ja schon seit den 60er Jahren. Wo stehen wir da jetzt gerade? Was für Modelle oder Konzepte sind da besonders gefragt?

B. Böttcher:
Austausch hat natürlich eine große Entwicklung genommen, ausgehend vom Deutsch-Französischen Jugendwerk, von den Beziehungen, die zu einer Stärkung im Nachkriegsdeutschland geführt haben. Heutzutage bieten sich Schulen sehr viele Programme, mit denen sie Austausche anbieten können. Wir merken in den letzten Jahren, dass es nicht am Geld scheitert oder an den Möglichkeiten an den Schulen, sondern dass Bedenken bestehen, in welche Länder Schüler noch fahren können – dass Eltern hier Bedenken haben, dass Schüler hier Bedenken haben, und dass Lehrerinnen und Lehrer sich überlegen müssen, wie sie Austausch im Schulalltag unterbringen.

[04:04] R. Brinkmann:
Frau Herklotz, Sie stehen in Warschau im engen Kontakt mit Lehrern, die einen deutsch-polnischen Austausch planen. Wie groß ist da das Interesse? Was erleben Sie da so im Alltag?

S. Herklotz:
Also wir bearbeiten im Warschauer Büro des DPJW ungefähr 1.800 dt.-polnische schulische Begegnungsprojekte pro Jahr. Wir stellen da durchaus ein gleichbleibendes Interesse fest, also bei uns ist es eher so, dass die Zahl der Projekte durch unsere Fördermittel begrenzt ist. Letztes Jahr, also 2016, haben wir eine Warteliste einrichten müssen, weil die Mittel ausgeschöpft waren. Also da wären noch mehr Projekte möglich gewesen.
Wir sehen allerdings vor allem auf deutscher Seite, dass da das Interesse geringer ist, als auf polnischer Seite. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass sehr viele deutsche Schulen mit sehr vielen Ländern internationale Partnerschaften pflegen, und dass es natürlich bei Schulzeitverkürzung dann einfach aus Termingründen schwierig wird, all diese verschiedenen Projekte unterzubringen.

R. Brinkmann:
Und da steht dann Polen nicht immer so an erster Stelle?

R. Brinkmann:
Das kommt glaube ich auf die einzelne Schule an. Es ist ja auch so, dass viele Austausche immer noch an einzelnen Personen, an einzelnen, sehr engagierten Lehrkräften hängen. Und wenn dann da durch Pensionierung eine Lehrkraft wegfällt, dann kann das auch den gesamten Austausch oder die Partnerschaft zumindest gefährden.

R. Brinkmann:
Frau Herklotz, jetzt haben Sie schon gesagt, 1.800 Projekte – das klingt erst mal nach einer ganz schönen Masse, und ich kann mir vorstellen, nicht jedes Projekt gleich dem anderen. Vielleicht können sie mal so ein zwei Beispiele nennen, also wie man sich so klassische und vielleicht weniger klassische Austauschmodelle vorstellen muss, im Deutsch-Polnischen Jugendwerk.

S. Herklotz:
Also ein klassisches Schulaustauschprojekt findet wahrscheinlich zwischen zwei Gymnasien statt; es nehmen überwiegend Mädchen daran teil, der Fremdsprachenaspekt ist sehr wichtig. Es gibt landeskundliche Elemente, man besucht gemeinsam den Unterricht, geht in einige Museen, macht eine Stadtführung, macht eine Stadtrallye. Es gibt einen deutsch-polnischen Abend, man macht einen Ausflug in die nächste größere Stadt. Das wäre so was ganz Klassisches.

Weniger klassisch, aber auch vorhanden im Schulaustausch, sind dann Begegnungen, die ein spezifisches Thema haben, die sich zum Beispiel mit historischen Themen befassen, die dazu Projektarbeit machen, vor Ort, lokal auf Spurensuche gehen, die sich beispielsweise mit der Migrationsgeschichte zwischen Schlesien und dem Ruhrgebiet befassen, oder die auch im Berufsschulkontext dann zum Beispiel Frisuren für das Oktoberfest gemeinsam gestalten, am Modell, am Plastikmodell und am lebenden. Also da gibt es eine große Bandbreite.

R. Brinkmann:
Eine große Bandbreite. Und da höre ich schon wenn es jetzt um Frisuren geht, also das finde ich lustig. Was für einen Spielraum lassen Sie denn den Schulen oder auch den Lehrern, die sich ja jetzt bei Ihnen melden, um so einen Antrag auszufüllen, und sagen wir wollen das gerne machen. Also: Gibt es da einen großen Spielraum, oder sagen Sie da, das Minimum wäre, bitte schön, ja klar dt.-poln.er Bezug, aber vielleicht auch eine historische Ausrichtung. Also wie eng oder wie weit ist der Spielraum?

S. Herklotz:
Also das DPJW ist ein dezidierter Grund- und Breitenförderer. Das heißt, wir machen unseren Antragstellern keinerlei thematische oder inhaltliche Vorgaben, stellen auch keine Vorgaben in Bezug auf Formate, Methoden und Zielgruppen. Uns ist wichtig die authentische Begegnung, das gemeinsame Leben, Lernen und Handeln. Also dass die Jugendlichen, die daran teilhaben, die Möglichkeiten haben, auf einer persönlichen Ebene junge Menschen aus dem jeweiligen Nachbarland kennenzulernen, die Perspektive zu wechseln, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Aber die genaue Ausgestaltung, also mit welchen Themen sich dann die Teilnehmenden befassen, ob sie sich dezidiert mit der dt.-poln. Geschichte befassen wollen, oder ob sie gemeinsam mechatronische Bauteile erstellen, das ist liegt alles in der Hand der Antragsteller.

[09:05] R. Brinkmann:
Herr Böttcher, noch mal zu Ihrer Initiative, die haben wir ja eingangs gar nicht so richtig vorgestellt. Unter diesem Dach finden sich ja verschiedene Träger. Das DPJW ist ja nur eines davon, die mit dieser Initiative sozusagen vertreten werden. Jetzt hat Frau Herklotz schon so gesagt, wie das beim DPJW ist. Haben Sie vielleicht noch Beispiele, wie das bei Förderern von anderen Austauschprojekten ist? Sind die ähnlich aufgestellt, dass sie eine ganze breite Vielfalt an pädagogischen Konzepten zulassen, oder gibt es auch das eine oder andere, die sagen, na ja, wir müssen da so eine ganz engmaschige Linie fahren. Wie sind da so Ihre Erfahrungen?

B. Böttcher:
Die Initiative vertritt elf Organisationen, die eine sehr große Bandbreite an Projekten, Partnerschaften und Aktivitäten fördert.
Ich denke, niemand wird hier einen sehr engen Katalog von Anforderungen haben. Das Spektrum reicht von den klassischen Förderern wie den beiden Jugendwerken, dem deutsch-französischen und dem dt.-poln., über den sehr wichtigen Pädagogischen Austauschdienst, der die EU Programme Erasmus+ betreut.

Aber wir in der Initiative haben auch noch die Perspektive auf andere Akteure, die eher und auch im Bereich der Jugendarbeit, der außerschulischen Jugendarbeit, aktiv sind. Und wir möchten die Erfahrungen, die hier im außerschulischen Bereich existieren, einbringen auch in den schulischen Austausch. Also der IJAB und die deutsch-israelischen und deutsch-tschechischen Koordinationsbüros, die Stiftung deutsch-russischer Jugendaustausch, haben einen großen Schwerpunkt auch auf der außerschulischen Jugendarbeit, arbeiten eng auch mit Schulen zusammen.
Dann gibt es aber auch noch Programme wie die des AJA, die den individuellen Schüleraustausch unterstützen, und ENSA, das sich insbesondere in Partnerschaften mit Afrika, Lateinamerika, Asien engagiert. Hier sind es ganz andere Formen, indem etwa Partnerschaften für Schulen betreut werden, und das langfristig aufgebaut wird.

R. Brinkmann:
Wenn ich das so höre, Herr Böttcher, dann stelle ich mir das auch teilweise für die Lehrpersonen, die sich damit beschäftigen müssen, in welcher Form sie das anbieten sollen oder nicht, auch ziemlich verwirrend vor. Also wenn man so viele Akteure hat, so viele Fördermöglichkeiten. Das klingt ein bisschen nach einem Dschungel.

R. Brinkmann:
Es ist es, auf jeden Fall, ein Dschungel. Und für eine Lehrkraft, gut, sie arbeitet an einer Schule und ist also schon mal durch das Bundesland vorherbestimmt. Aber für uns stellt es sich so dar, dass es in 16 Bundesländern 16 verschiedene Möglichkeiten für Schulen existieren, weil die einzelnen Bundesländer unterschiedliche Förderpolitiken haben, Länderprogramme manchmal. Und das ist tatsächlich sehr sehr unübersichtlich, und deshalb setzen wir uns auch dafür ein, Lehrkräften Hinweise anzubieten, Übersichten. Wir bauen eine Datenbank auf, eine Website, auf der möglichst viele Förderprogramme einsehbar sind, und wir versuchen da Hilfe zu geben. Aber das ist eine große Aufgabe.

[12:35] R. Brinkmann:
Herr Böttcher, jetzt können wir ja einmal die Frage an einen Lehrer, jemanden, der sozusagen im Alltag steckt, weiterleiten. Herr Böing ist so einer am Kölner Gymnasium Kreuzgasse. Sie haben ja schon so ein bisschen zugehört. … Herr Böing, haben Sie auch so bisschen das Gefühl gehabt, im Dschungel zu stecken, als es darum ging, an ihrer Schule Austauschprojekte zu initiieren. Ich kann ja noch einmal kurz sagen, Sie engagieren sich für deutsch-französischen Schüleraustausch, aber auch für den deutsch-chinesischen.

R. Brinkmann:
Ja, genau. Seit einigen Jahren habe ich das Glück, auch im deutsch-chinesischen Austausch teilzunehmen. Vielleicht kann ich Bezug nehmen auf das, was Herr Böttcher vorhin gesagt hat: Die Schwierigkeit für viele Schulen ist die Frage, wo sie den Austausch im Schulalltag unterbringen.
Am einfachsten ist es, wenn man den Blick auf das eigene Haus richtet. Insofern möchte ich es einfach ganz exemplarisch an meiner Schule ausrichten, am Gymnasium Kreugasse. Ich bin ganz froh an dieser Schule tätig zu sein, weil es in Köln wohl eine derjenigen Schulen ist, die am internationalsten unterwegs ist. Ich kann einmal ganz kurz unser Austauschprogramm schildern, und nachher wird man merken, wie es trotzdem möglich ist, Struktur da reinzubringen.

Wir haben Austausch mit Frankreich in Klasse 7 und der Klasse 10. Wir haben Austausch mit Großbritannien im Rahmen eines Paying-Guest-Program auch für die Jahrgangsstufe 7. Wir fahren nach Spanien in der Jahrgangsstufe 9. In der Jahrgangsstufe 11 mit den Geschichtskursen und Erinnerungsprojekten nach Katowice, in die Partnerstadt. Sie hatten den deutsch-chinesischen Austausch erwähnt, zweieinhalb Wochen in Peking, alle zwei Jahre. Wir haben auch Individualaustausch mit Südafrika. Sie merken schon, wenn ich das alles aufzähle: Man muss sich das gut überlegen, wo man alles unterbringt und platziert. Aber wenn sich Lehrer und Schulleitungen zusammensetzen, mit Eltern und der Schulkonferenz gemeinsam überlegen: Wo können wir die einzelnen Austausche so unterbringen, dass sie für alle gewinnbringend sind, dass möglichst vielen Schülern die Teilnahme ermöglicht wird. Denn es soll ja eben nicht nur eine exklusive Angelegenheit für einige wenige sein, sondern wir wollen allen unseren 1000 Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, ja potentiell an drei, vier, ja vielleicht sogar fünf Austauschen im Laufe ihrer Schullaufbahn teilzunehmen. Und diejenigen, denen daran liegt, die schaffen das dann auch, mit Schule in unterschiedliche Länder zu kommen. Und das ist auch eine schöne Sache, wenn man sieht, dass Schulen auch über Austausche zu Mehrsprachenbildung und auch zur interkulturellen Bildung beitragen können.

[19:23] R. Brinkmann:
Wie erleben Sie das als Lehrer, Herr Böing? Sind das so typische Lernerfahrungen, die Jugendliche von Austausch mitbringt oder mitbringen sollte?

M. Böing:
Ja, also die Dankbarkeit, die in den Äußerungen von den Schülerinnen und von den Schülern aus dem deutsch-polnischen Bereich zum Ausdruck gebracht worden ist, die spiegelt sich uns als Begleitlehrerinnen und -lehrern auch wieder. Es ist toll auch Jahre später von den Eltern und teilweise von den Schülern, die damals nach Peking gefahren sind, zu hören, wie dankbar sie sind, über die Einblicke, die sie damals bekommen haben. Auch über die Teilnahme an der Projektarbeit zu, Beispiel. Gerade die Projektarbeit ermöglicht auch viel gerade von neuen Erkenntnisse,
da ist im Bereich der Zusammenarbeit, aber auch im Bereich von inhaltlichen neuen Begebenheiten, die man sich so erschließt. Insofern kann ich das alles sehr gut nachvollziehen, was die Schülerinnen und Schüler zum deutsch-polnischen Austausch vorhin berichtet haben.

R. Brinkmann:
Nun haben Sie erwähnt, Sie machen einen deutsch-chinesischen Austausch. Steht da auch Spracherwerb oder vertiefter Spracherwerb im Mittelpunkt, oder können da auch Schüler mitreisen, die diese Sprache gar nicht beherrschen?

[20:36] M. Böing:
Vielleicht ganz kurz, um den Austausch einzuordnen: Er ist Teil der Initiative PASCH, Schulen – Partner der Zukunft, und das ist ein ganz interessantes Programm, welches das Auswärtige Amt vor zehn Jahren, 2008, ins Leben gerufen hat. An den Schulen im Ausland, wo Deutsch auch gelehrt wird, als Fremdsprache, ist es möglich, mit Deutschland Austausche zu machen. Wir haben auf diese Art und Weise Austausch mit unserer Partnerschule in Peking. Die lernen dort Deutsch als zweite Fremdsprache ab Klasse 7. Umgekehrt ist es bei uns im Hause, am Gymnasium Kreuzgasse, so, wir bieten Chinesisch als AG im Nachmittagsbereich an und die Schüler bereiten sich parallel zum Austausch, insgesamt über zwei Jahre, vor und diese zwei Austauschbegegnungen in Köln und in Peking, sind in diesem Zeitraum von zwei Jahren dann auch eingebettet.

Natürlich ist es so, dass man im Rahmen einer Chinesisch-AG nicht intensiv eine Sprache lernen kann, aber darauf kommt es ja gar nicht an. Es geht darum, sich in eine Sprache, gerade so eine ferne Sprache, wie die chinesische, erst einmal hineinzuversetzen, grundlegende Strukturen zu lernen, mit denen es möglich ist, mit der Familie zu kommunizieren, am Abendbrottisch zum Beispiel, oder sich mit den chinesischen Partnern auszutauschen. Man darf ja auch nicht vergessen, die jeweils andere Seite lernt in der Regel bestenfalls ja auch Deutsch. Und alles zusammengefügt, die beiden Partnersprachen und mitunter, wenn das nicht ausreicht, die englische Sprache, sorgt eigentlich auf sprachlicher Ebene für eine gute Voraussetzung, auch um Projektarbeit, die ja zum Glück mehr und mehr auch in Austausch Einzug hält, gut bewerkstelligen zu können.

R. Brinkmann:
Und was sind das dann für Projekte?

M. Böing:
Im deutsch-chinesischen Bereich haben wir zu ganz unterschiedlichen Themen gearbeitet, das waren geografische Themen „Verkehr und Mobilität im deutsch-chinesischen Vergleich“. Wir waren zu diesem Anlass in der Verkehrsleitzentrale der Stadt Köln. Wir haben auch behandelt in einem zweijährigen Zyklus, den „Dialog der Generationen im Vergleich“: Wie kommen eigentlich jüngere und ältere Menschen in China in Kontakt, wie ist das Ganze in Deutschland. Wir sind zu diesem Zweck in eine Einrichtung gegangen, die ich so als deutscher Lehrer wahrscheinlich nie aufgesucht hätte: Wir waren in einem Mehrgenerationenhaus der Caritas in Köln-Kalk. Das als eine Möglichkeit, Austausch zu öffnen im Alltag an der entsprechenden Schule, die sicher sehr bereichernd ist, auch für die Schülerinnen und Schüler, die dann in Kontakt kamen mit jungen und alten Menschen in diesem Haus.

R. Brinkmann:
Das heißt aber auch, Sie als Lehrer lernen dabei auch eine ganze Menge. Ich stelle mir das auch kompliziert vor, so viele Projekte am Laufen zu halten und die dann über Jahre hinweg sinnvoll in den Schulalltag einzubringen. Da muss man doch sehr konzentriert vorgehen, oder?

M. Böing:
Ja, man muss konzentriert vorgehen. Aber zum Glück ist das keine Sache, die man als Einzelgeschäft betreibt, sondern es sind ja immer mindestens drei Personen, bei uns im deutsch-chinesischen Austausch, von Lehrerseite, pro Nation beteiligt. Wir können uns lang im Voraus Gedanken machen, was wir im nächsten Jahr machen. Wir machen uns diese Gedanken zusammen mit den Schülerinnen und Schülern, jeweils zeitlich vorgezogen, ein Kalenderjahr. So dass wir uns auch gut vorbereiten können.
Unser aktuellstes Projekt ist ein schönes Kalenderprojekt gewesen, in dem auch ein passendes Weihnachtsgeschenk fertiggeworden ist. „Kalender zu Traumberufen“ in Deutschland und China.
Man hat sich das so vorzustellen, dass die deutschen und chinesischen Schüler, die ja erst 14-15 Jahre alt sind, Berufsgruppen und Berufe, die sie so gar nicht kennen, an ihren jeweiligen Orten aufsuchen, Portraits von diesen Menschen erstellen, auf Deutsch und Chinesisch, auf der Kalenderrückseite. Sie halten am Ende ein tolles Produkt in den Händen, auf das sie stolz sein können. Und das als ein Beispiel, um Projektarbeit auch im Wert zu steigern.

[24:42] R. Brinkmann:
Herr Böing, Sie haben uns jetzt schon einige Erfahrungen aus Ihrer Lehrerperspektive geschildert. Das kann sicher auch gut Frau Ahlhaus, die ich jetzt am Telefon begrüße. Sie betreibt seit 25 Jahren Austausch mit russischen Schulen. Frau Ahlhaus, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Frau Ahlhaus:
Wir feiern in diesem Jahr 25jähriges Jubiläum unserer Partnerschaft. Wir sind eine Hauptschule in Wippersfürth und haben eben den Kontakt zu einer Schule mit Deutsch auch als erster Fremdsprache. Und für die russischen Schülerinnen und Schüler ist es eben besonders wichtig, den Kontakt zu uns zu halten, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. Für unsere Schüler – ich wiederhole noch mal: wir sind eine Hauptschule – ist es sehr wichtig und sehr interessant, einfach die Gelegenheit zu haben, mit der Schule in ein anderes Land reisen zu können, dort in einer Familie zu leben. Und sie stellen fest: Sie schaffen das, sie bekommen Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und sind auch dann in der Lage, über ihre Heimat zu erzählen – über ihre Schule, über ihren Wohnort, über ihr Leben – und können ein Stück auch die deutsche Kultur in einem fremden Land vorstellen und vertreten.

R. Brinkmann:
Frau Ahlhaus, Sie betonen das so ausdrücklich: Unsere Schüler, Hauptschule. Ist das nicht selbstverständlich?

Frau Ahlhaus:
Das ist glaube ich nicht selbstverständlich. Denn die meisten Austauschprogramme werden von Gymnasien, vielleicht auch Gesamtschulen durchgeführt. Ich kenne wenige Hauptschulen, die ein solches Austauschprogramm anbieten oder durchführen. Und ich glaube, dass das zum einen daran liegt, dass unsere Schüler einfach finanziell gar nicht so die Möglichkeit haben, an einem solchen Austausch teilzunehmen, denn es ist einfach mit hohen Kosten verbunden. Wir werden zwar unterstützt, von Initiativen oder Stiftungen, aber das deckt ja bei Weitem nicht die Kosten, die entstehen. Und leider, ja, hat sich das Land NRW jetzt auch aus der Förderung von Partnerschulen in Russland herausgezogen, so dass wir wirklich auch manchmal finanziell da unser Problem haben, dass wir da wirklich Schüler finden, die das auch finanzieren können.

R. Brinkmann:
Und wie federn Sie das dann ab? Also gibt es da Mittel aus irgendwelchen anderen Fördertöpfen oder ist das sehr viel Eigeninitiative, die sie entwickeln müssen, um das nötige Geld noch aufzutreiben?

Frau Ahlhaus:
Also wir versuchen zum einen durch Einkünfte über ein Weihnachtsmarktprojekt oder andere Dinge noch selber Geld dazu zu tun. Da wir als Schule aber immer kleiner werden – die Hauptschulen sterben nun leider aus – sind solche Möglichkeiten nur sehr begrenzt. Und wir sind froh, dass die Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch uns da unterstützt, aber das ist natürlich auch nur ein Teilbetrag, den wir da bekommen. Und der Rest muss natürlich selbst finanziert werden. Schüler, die Interesse haben, versuchen das und sammeln Geburtstagsgeld, Weihnachtsgeld, so etwas, um sich auch wirkliche diesen Austausch zu ermöglichen.

[28:18] R. Brinkmann:
Herr Böttcher ist ja Koordinator der Initiative »Austausch macht Schule«. Herr Böttcher: Jetzt hat die Frau Ahlhaus schon geschildert, das Land NRW lässt sie da im Stich mit Fördermitteln. Wie sieht es denn in anderen Ländern aus? Machen die meisten Länder ihre Hausaufgaben, um das zu unterstützen? Weil eigentlich ist es doch, wenn man immer auch die Diskussion in dieser Woche verfolgt, doch immer sehr politisch doch gewollt, dass einen Austausch gibt.

B. Böttcher:
Natürlich, alle Länder verpflichten sich, Austausch zu unterstützen. Aber nicht immer bedeutet das finanzielle Unterstützung. In NRW ist es z.B. so, dass das Land Austausch mit Israel und Palästina sowie mit Polen unterstützt und dazu Landesprogramme aufgelegt hat und sich aus dem anderen jetzt zurückgezogen hat. In anderen Ländern ist das unterschiedlich: Manche Länder fördern alle Austausche, auf Antrag. Das ist für Lehrer wahrscheinlich aber auch nicht so einsichtig, welchen und auf welche Art und Weise man Austauschförderung erhalten kann. In anderen Ländern ist es wiederum so, dass gar kein Geld im Landeshaushalt für die Förderung des schulischen Austausches eingesetzt ist, eingestellt ist, und dass man erwartet, dass die Jugendwerke, die Koordinierungsstellen oder – natürlich – die EU-Programme das alles finanzieren können. Aber es ist aus unserer Sicht vor allem eine sehr unübersichtliche Situation. Und jeder Lehrer muss selbst recherchieren, wo er Gelder beantragen kann, und muss die Anträge schreiben, muss die Anträge ausarbeiten und das ist nicht immer einfach.

R. Brinkmann:
Das kann Frau Ahlhaus sicherlich auch bestätigen.

Frau Ahlhaus:
Das kann ich nur bestätigen. Und das ist auch das Problem bei uns an der Schule, dass ich eigentlich keine Kollegen mehr finde, die bereit sind, diese Mehrarbeit zu leisten.

Ich mache es jetzt selber seit über 20 Jahren, und muss auch selber feststellen, dass es immer komplizierter wird, Anträge zu stellen, Abrechnungsmodalitäten zu verfolgen und richtig auch dann anzuwenden. Das kostet sehr viel Zeit und wir machen das ja ehrenamtlich. Das ist eigentlich eine Arbeit, die zu unserer normalen Berufsbelastung noch dazukommt. Und ich kann Kollegen verstehen, die dann sagen: Bitte nicht. Ich schaffe es nicht. Und, ja: Wenn ich demnächst in Rente gehe, Ich weiß nicht, ob unser Schüleraustausch über unser 25jähriges Jubiläum hinaus noch Bestand haben kann.

[31:10] R. Brinkmann:
Frau Alhaus, vielen Dank für diese Erfahrungen und Eindrücke.
Und uns haben schon eine Menge Mails erreicht, aus denen ich kurz vorlesen möchte:
E. Schuster aus Oberfranken, schreibt Der Schüleraustausch funktioniert meiner Erfahrung nach am besten, wenn die Schüler nicht in einer Gruppe, sondern allein im Ausland sind, zum Beispiel in einer Familie. Das zwingt zur Auseinandersetzung und Anpassung an die fremde Kultur. Ich bin überzeugt, der deutsch-französische Austausch hat sehr viel zur Stabilität des Verhältnisses der beiden Länder nach dem Krieg beigetragen.
P. Dobler schreibt: „Einen Austausch kann man nicht hoch genug bewerten. Ich war als Austauschschüler in den USA und Sprachassistent in Frankreich. Heute bin ich Englisch- und Französischlehrer. Der Austausch hat mich zu meinem Beruf geführt.“
Und ich begrüße einen Hörer am Telefon, Herrn Nuhr:

Herr Nuhr:
Ich bin pensionierter Lehrer aus Baden-Württemberg und habe 25 Jahre lang sehr viele Austauschmaßnahmen durchgeführt, vor allem mit Frankreich und später mit Spanien. Hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Schüler in der kurzen Zeit, die sie da sind, bestrebt sind, wieder selber in ihrer nationalen Gruppe zusammenzufinden und möglichst lange Abende zusammen zu sein.
Der Austauschpartner ist da nur zweitrangig, und das führt dazu, dass Vorurteile, die noch bestehen, dann eher bestätigt werden. Trotzdem würde ich sagen, so ein Austausch ist besser, als gar kein Austausch. Dennoch würde ich vorschlagen, dass das Geld, das im Erasmus+ Programm von der EU kommt, für Einzelmaßnahmen verwendet würde. Das Idealziel sollte sein, dass  jeder Schüler in der EU einmal in seinem Leben einen vierteljährigen oder halbjährlichen Austausch im Ausland durchführt und alleine in einer anderen Schule ist. Und dass sich das dann auch positiv auf den Notendurchschnitt auswirkt, damit ein Interesse geweckt wird und niemand benachteiligt wird.
Bei Einzelmaßnahmen, im Alltag, über längere Zeit die eigentliche Erfahrung in positiver Weise gemacht wird und daran wächst. Und dadurch würde Europa viel enger zusammenwachsen, weil man zum Beispiel auch in ein Land kommen könnte, dessen Sprache man nicht unbedingt gelernt hat, wie zum Beispiel Finnland oder Zypern.

[34:50] R. Brinkmann:
Vielen Dank für die Punkte, die ich gern in unserer Runde aufnehmen möchte. Herr Nuhr brachte den Vorschlag, doch lieber Einzelaustausch anzubieten. Herr Böing, finden Sie das sinnvoll?

M. Böing:
Ich würde beides nicht gegeneinander ausspielen. Wir selber haben an unserer Schule die Erfahrung gemacht, dass häufig das Bedürfnis zu individuellem Austausch aus einem vorhergegangenen Gruppenaustausch erwächst. Jetzt mal exemplarisch an dem deutsch-chinesischen Austausch, den ich in den letzten zehn Jahren betreue: Wir haben das Interesse gesehen, dass jungen Deutschen oder jungen Chinesen, die jeweils im anderen Land waren, diese 15 Tage in der Gruppe so gut gefallen haben, dass sie sich selbst vorgenommen haben, irgendwas möchte ich noch mal mit dem Austauschpartner und im Partnerland machen. Und es sind dann immer schöne Momente, wenn man sieht, dass einzelne chinesische Schüler nach Jahren dann wieder an unserer Schule vorbeischauen, weil sie sich entschieden haben, ein Schuljahr nach Deutschland zu gehen. Häufig werden solche Entscheidungen aber erst durch sog. Gruppenaustausche hervorgerufen.
Man darf auch die absolute Zahlen nicht vergessen: Über den Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz, der uns sehr stark pädagogisch und finanziell unterstützt, und über andere Stiftungen, haben wir Vergleiche, wie viele überhaupt fahren: Es sind 1.600 Schülerinnen und Schüler im letzten Jahr gewesen, die in die Richtung Deutschland-China mobil waren. Das sind Zahlen, die man individuellem Austausch so nicht erreichen würde. Und im deutsch-polnischen oder deutsch-französischen Austausch sind diese Zahlen noch viel höher.
Das heißt, um auf Herrn Nuhr zurückzukommen: Es ist eine sehr schöne Idee und auch sehr wünschenswert, die Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, auf eigene Faust noch „etwas hinterherzuschieben“. Aber wichtig sind doch diese ersten Erfahrungen in der Gruppe, auch damit man sich nicht alleine im anderen Land vorkommt, durchaus auch begleitet durch die heimischen Lehrer und durch die Lehrer der Partnerschule, die das auch vor Ort betreuen.

[37:15] R. Brinkmann:
Natürlich laufen die Austausche nicht immer ganz glatt: Der Lehrer hat sich etwas vorgenommen, die Schule hat sich etwas vorgenommen – aber nun stellt man fest, dass sich die Schüler doch etwas einigeln in ihrer Gruppe. Das bringt mich zur Frage: Wie werden Lehrer pädagogisch-didaktisch auf Austausche vorbereitet.

[37:39] M. Böing:
Da nehmen wir ja den Blick auf die Lehrerbildung. Ich selber bin auch am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Köln tätig, als Fachleiter im Bereich Geografie. Und ich weiß auch von meinen Fremdsprachkollegen, dass dort für Austauschpädagogik vorbereitet wird. Das heißt ganz konkret: Einmal im Seminarbetrieb wird sich im Verlauf von ein-zwei Fachsitzungen – je drei Stunden – mit Austauschpädagogik beschäftigt. Gleichzeitig haben wir an unserem Seminar das Angebot, zusätzlich noch Wahlangebote zu unterbreiten an die Referendarinnen und Referendare. Bei mir war es so, dass ich in diesem Jahr ein Modul angeboten habe „Mit Schülern auf Fahrt – Austausche und Klassenfahrten begleiten“, und ich habe mich sehr gefreut, dass sich ungefähr zwanzig Leute, auch mit Fächern nicht aus dem Fremdsprachenbereich, eingeschrieben haben.
Und dort im Angebot sind tatsächlich solche Dinge wie: Sprachanimation – wie führe ich sprachlich-spielerische Aktivitäten mit jungen Kindern aber auch mit jungen Erwachsenen durch, die begleitend über den ganzen Austausch stattfinden.
Wie führe ich Besuche durch, in denen ich nicht nur das Museum abklappere, jeder für sich, sondern wie kann ich auch die geografische Exkursionsdidaktik nutzen, um Gruppen zu begleiten.
Was tue ich mit deutschen Gruppen alleine im Ausland, denn man muss auch bedenken: Zu einer gewissen Zeit sitzen die Partnerschüler ganz einfach im Unterricht. Man kann nicht zwei Wochen Unterricht ausfallen lassen während der Austauschzeit.
Kurzum: Ein buntes Sammelsurium anzubieten, zwischen Sprachanimation, Exkursionsaktivitäten, Projektarbeit, so dass insgesamt ein Paket geschnürt wird, das den Schülern vielfältige Erfahrungen ermöglicht im Bereich Bildung, im Bereich Kontakte, aber auch im Bereich Reflexion – was nehme ich persönlich für mich mit. Deshalb bauen wir auch immer zahlreiche Beobachtungsausatausch- Evaluationsphasen in unsere Austauschprojekte ein.

[39:46] R. Brinkmann:
Jetzt haben wir immer wieder davon gesprochen, welche tollen Eindrücke Schülerinnen und Schüler aus ihrem Austausch mitnehmen. Und ich denke, unsere Hörerin am Telefon hat auch eine Menge solcher mitgenommen, Frau Haag, oder:

Frau Haag:
Ja ich habe auch viele mitgenommen, viele. Ich bin 1954 als eine der ersten Austauschschülerinnen nach Frankreich gekommen. Wir waren ein Mädchengymnasium, 18 Mädchen. Ich bin die einzige, die bis heute Kontakt mit ihrer Französin hat.
Und es haben sich dann auch Freundschaften gebildet. Also die Schwester meiner Französin hat eine Freundschaft mit meiner Schwester begonnen, und mein Bruder ist auch mit meiner Freundin verbunden. Und wir laden sie zu allen Festen ein, und sie laden uns ein. Aber wir waren in den Sommerferien dort und hatten nur Spaß. Und wir waren in den Familien und es wurde wenig nach uns geschaut. Wir spürten natürlich auch damals noch die deutsche und französische Feindschaft. Wir wurden auch in der Schule vorbereitet darauf.

[40:57] R. Brinkmann:
Umso innovativer, dass Sie damals schon dabei waren, als das noch gar nicht so verbreitet war. Vielen Dank. Sind das auch Eindrücke, Frau Herklotz, die Sie ja von Teilnehmern, vorzugsweise sind das ja Lehrer, mit denen Sie in Kontakt stehen, bekommen, wenn Sie solche Austausche organisieren über das DPJW.

S. Herklotz:
Also ich habe hier vieles wiedergefunden, was ich auch aus meiner tagtäglichen Arbeit kenne. Also vielleicht auch noch mal als Antwort zu Herrn Nuhr: Natürlich sind Begegnung, Kennenlernen, das Sich-Einlassen auf die andere Gruppe oder den Gastschüler, das sind für uns ganz wichtige Ziele bei so einer Begegnung. Das passiert aber nicht von alleine, sondern dem muss eine Bedeutung und Zeit im Programm eingeräumt werden, da braucht es Methoden für, Aktivitäten, also das muss mitgeplant werden, damit dieses Ziel einer interkulturellen Begegnung auch erreicht werden kann im Austausch. Und da sehen wir schon noch Bedarf in der Lehreraus- und -fortbildung, dass da mehr Lehrer, die auch Austausche machen dafür Methoden kennen, sowas anleiten können, diese Aspekte einbauen können in ihre Begegnungen. Wir kennen aber auch Fälle, wo Lehrer selber als Jugendliche an Begegnungen teilgenommen haben, auch an dt.-poln., und dann, als sie selber in den Schuldienst eingestiegen sind, gesagt haben, ich habe immer gewusst, dass ich deutsch polnische Begegnungen machen muss, das ist wichtig, das ist ein wichtiges Land, ein wichtiges Nachbarland, und die das dann auch machen an ihrer Schule.

[42:44] R. Brinkmann:
Herr Böttcher, vielleicht noch mal, wir kommen jetzt langsam zum Ende unserer Sendung, Tipps und Hinweise, wie Schulen das noch dauerhafter und noch intensiver ja in ihrem Schulprogramm verankern können: Austausch zu pflegen mit allen möglichen Ländern, die sich da anbieten.

B. Böttcher:
Sie haben das eben gesagt und Herr Böing hat das in seinem sehr guten Beispiel erwähnt: Ich glaube, eine Schule sollte das wirklich strategisch angehen, sollte es in ihrem Schulprogramm aufnehmen, und nicht Lehrer, die sehr engagiert sind und vielleicht über persönliche Kontakte ins Ausland verfügen, damit alleinlassen. Also eine Schule sollte solche Austausche und Partnerschaften an mehrere Lehrkräfte verteilen, auf dass es eine langfristige, eine nachhaltige Partnerschaft entsteht, und nicht wie Frau Ahlhaus, die Angst haben muss, dass nach ihrer Pensionierung eine solche langjährige Partnerschaft nicht mehr fortgesetzt wird.

R. Brinkmann:
Aber das war so der Eindruck, den ich jetzt vielfach bekommen habe, auch in den vielen Vorgesprächen mit Lehrern, die mir gesagt haben, dass es eigentlich eine One-Man- oder One-Woman-Show ist, die wir hier betreiben.

B. Böttcher:
Das höre ich auch sehr oft. Ich empfehle im Gespräch mit Schulen, dass sich die Schule als solches, als Organisation überlegt, in welche Richtung sie Partnerschaften aufnimmt, und wie sie die begrenzten Ressourcen sinnvoll einsetzt, um nachhaltige Partnerschaften aufzubauen. Und natürlich muss das auch unterstützt werden durch die Bildungspolitik, durch die Schulverwaltungen und die Ministerien. Ich glaube, hier müssen Schulen sehr viel besser dabei unterstützt werden, Austausche in ihre Schulprofile mit aufzunehmen.

[44:32] R. Brinkmann:
Herr Böing, vielleicht noch ganz kurz: Eine Minute hätten Sie noch Zeit, um zu sagen, wie es aus Ihrer Sicht gelingt, so etwas an Schulen dauerhaft nachhaltig zu verankern kann.

M. Böing:
Ja Herr Böttcher hat eigentlich das Stichwort schon genannt: Dialog. Dialog innerhalb des Kollegiums, um wirklich dann für Akzeptanz zu sorgen auf breiter Linie. Das ist im Grunde genommen das A und O.

R. Brinkmann:
Und das vielleicht noch stärker in einer Form von Profilierung. Ich meine, Sie sind jetzt sehr international ausgerichtet, das ist vielleicht nicht jede Schule. Aber vielleicht sollte sich eine Schule das auch überlegen, wie international sie eigentlich sein will.

M. Böing:
Das ist sicherlich eine gute Idee. Was man sicher auch nicht vergessen darf, ist das Potential, was da drin steckt, durch Schüleraustausch auch Unterrichtsqualität zu steigern. Ich möchte jetzt auch bewusst noch mal ein Plädoyer für Mehrsprachigkeit ganz am Ende bringen. Also jenseits von Englisch, die Partnersprachen der Nachbarländer zu stärken: Niederländisch, Dänisch, Polnisch, Französisch, Tschechisch – gerade auch das Potential zu nutzen, was Schulen im Nah-Raum haben, wo gar nicht viele Kosten in die An- und Abreise fallen, und Unterbringungskosten in den Gastfamilien sind mehr oder weniger dann ja gleich null. Also dieses Potential zu nutzen.

Ich hoffe, dass die Bildungspolitik das Ganze auch unterstützt, an entsprechender Stelle.

R. Brinkmann:
Ja, der Appell ist sicherlich bei dem einen oder anderen Bildungspolitiker, der uns heute zugehört hat, angekommen.
Das wünschen wir uns jedenfalls.
 

Veröffentlicht am: 20.01.2018