Fachbeiträge

Mit Schüleraustausch dem Unterricht eine europäische Dimension geben

Neue Empfehlung des Rates der Europäischen Union

Wie lassen sich angesichts der aktuellen Herausforderungen der Europäischen Union junge Menschen für das europäische Projekt begeistern? Wie dem Vormarsch extremistischer Ideologien und dem Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten entgegenwirken? Eine Antwort darauf lautet: Über die Vermittlung gemeinsamer Werte und eine Stärkung der europäischen Identität durch Bildung und Kultur. Es überrascht nicht, dass der Rat der Europäischen Union den internationalen Schüleraustausch als wichtiges Instrument empfiehlt, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Nationalstaaten sollen Schüleraustausch für alle fördern.

Der vollständige Titel der am 22. Mai 2018 beschlossenen Empfehlung lautet „Empfehlung der Kommission des Europäischen Rates zur Förderung gemeinsamer Werte, inklusiver Bildung und der europäischen Dimension im Unterricht“, womit bereits die drei zentralen Ziele des Dokumentes benannt sind.

Um letzteres, die europäische Dimension des Unterrichts, zu erreichen, wird den Mitgliedsstaaten empfohlen, internationalen Schüleraustausch zu fördern. Schülerinnen und Schüler sollen auf diesem Weg die Möglichkeit bekommen, europäische Identität in ihrer gesamten Diversität zu erfahren und ein positives und inklusives Zugehörigkeitsgefühl zu Europa zu entwickeln. So soll ein besseres Verständnis sowohl der Union als auch ihrer Mitgliedstaaten gefördert werden.

Die Mitgliedsstaaten sollten […] eine europäische Dimension im Unterricht fördern, indem sie dazu anregen, […] (c) dass Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte am eTwinning-Netzwerk und an grenzübergreifender Mobilität, vor allem für Schulen, teilnehmen.

Insbesondere das Programm Erasmus+ bzw. seine Plattform E-Twinnig finden in diesem Zusammenhang explizite Erwähnung. In der Begründung der Empfehlungen heißt es:

„Mobilität und grenzüberschreitende Kontakte (sind) ein wirksamer Weg [...], um europäische Identität erfahrbar zu machen. Es ist daher von größter Bedeutung, dass alle Kategorien von Lernenden in ganz Europa gleichermaßen von den Möglichkeiten profitieren können, die dieses (Erasmus+) Programm bietet; insbesondere durch Schulaustauschprogramme zwischen den Mitgliedstaaten. Virtuelle Mobilität, vor allem im Rahmen des eTwinning-Netzes, ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, direkten Kontakt zwischen Schülerinnen und Schülern herzustellen, und sollte in den nächsten Jahren in größerem Umfang in Kombination mit physischer Mobilität genutzt werden.“

Mit Blick auf das Ziel inklusiver Bildung, regt der Rat der Europäischen Union an, Erasmus+ zu nutzen, um allen Lernenden entsprechende Bildungserfahrungen zu ermöglichen. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen oder mit Behinderungen sollen gleichberechtigt Zugang erhalten. Dies wird als Voraussetzung für einen stärkeren sozialen Zusammenhalt gesehen.

Hintergrund: Europäische Bildungspolitik

 

Bildungspolitik ist in der EU originäre Aufgabe der Nationalstaaten. Kommission und Parlament können somit in diesem Bereich keine bindenden Verordnungen oder Richtlinien verabschieden. Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Art. 165, 166) ermöglicht ihr aber, die Zusammenarbeit der Nationalstaaten in der Bildungspolitik zu fördern. Dies geschieht u.a. durch gemeinsame Empfehlungen, die im Rat der Europäischen Union erarbeitet werden.

Bis zur Mitte des Jahrzehnts lag der Schwerpunkt dabei vor allem im Bereich der beruflichen Bildung. Unter dem Eindruck der islamistischen Terroranschläge in Paris (Charlie Hebdo) und Kopenhagen Anfang 2015 rückte zusätzlich das Thema Wertevermittlung in den Fokus. In der „Pariser Erklärung“ der europäischen Bildungsminister und -ministerinnen gaben die Mitgliedstaaten im März des gleichen Jahres an, gemeinsame Werte fördern, kritisches Denken und Medienkompetenz sowie inklusive Bildung und den interkulturellen Dialog stärken zu wollen. Als Instrument, um dieses Ziel zu erreichen, wurde u.a. das Programm Erasmus+ aufgeführt.

In Folge des Brexits und dem Erstarken nationalistischer Parteien in Europa kamen im November 2017 in Göteborg führende Vertreter der EU und der Mitgliedstaaten zusammen, um die künftige Rolle von Bildung und Kultur bei der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls in der EU und des europäischen Bewusstseins zu erörtern. Auch hier wurde der Förderung internationalen Mobilität von Schülerinnen, Schülern und Studierenden eine zentrale Bedeutung eingeräumt.

 

Fazit: Internationaler Austausch muss selbstverständlicher Teil schulischer Bildung werden.

Auch wenn die Empfehlungen des Europäischen Rates für Deutschland und die anderen Staaten der EU nicht bindend sind, senden sie dennoch ein starkes politisches Signal: Schüleraustausch ist ein wichtiger Baustein für den Zusammenhalt der Europäischen Union. Darin wird nicht zuletzt ein Wandel bei der Begründung für den Wert internationalen Austausches durch die EU erkennbar. Internationale Mobilität von Jugendlichen wird nicht länger nur als Instrument beruflicher Bildung gesehen, sondern gleichermaßen als Maßnahme für Wertebildung und die Förderung eines europäischen Bewusstseins.

Die am 7. Juni 2018 präsentierten Befunde der sog. „Zugangsstudie“ („Warum nicht? Studie zum internationalen Jugendaustausch: Zugänge und Barrieren“) zeigt gleichwohl, dass es in Deutschland eine große Zahl an internationalem Austausch interessierter junger Menschen gibt, die durch die bestehenden Maßnahmen und Programme nicht erreicht werden. Die repräsentative Erhebung des SINUS-Institutes beziffert ihren Anteil an der Gruppe der 14-27-Jährigen auf 37%. Hier gilt es noch, ein großes Potenzial zu heben.

Für die Bildungspolitik in Deutschland sollte dieser Befund Ansporn sein, stärker als bisher dafür Sorge zu tragen, dass internationaler Schüleraustausch zu einem selbstverständlichen Teil schulischer Bildung wird – und zwar im Sinne der Inklusion für alle Schülerinnen und Schüler.

Veröffentlicht am: 27.06.2018
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