Schüleraustausch – (k)eine Sache der Gymnasien?
Inklusion im internationalen Austausch ist in aller Munde, aber auch in jeder Schule Tatsache? Häufig wird postuliert, dass (Schüler)austausch aus Gründen der Chancengerechtigkeit, und um wirklich etwas in der Gesellschaft bewegen zu können, „keine Sache der Gymnasien bleiben darf”.
Eine der Kernforderungen von „Austausch macht Schule”, niedergelegt in den von den Teilnehmenden der Dialogkonferenz 2013 formulierten Grundsätzen, den Zehn Thesen, ist, dass
Wenn Austausch also Schule machen soll, (…) 1. muss jeder Schülerin / jedem Schüler die Möglichkeit gegeben werden, an einem internationalen Austauschprojekt teilzunehmen, (…)
Es mangelt jedoch derzeit an umfangreichen Studien dazu, welche Schulformen und Schüler/-innen Austausch eigentlich gegenwärtig erreicht. Sind Gymnasien wirklich überdurchschnittlich häufig vertreten? Die individuelle Wahrnehmung vieler Akteure legt dies nah, dennoch scheint eine auf Fakten basierende Erhebung unumgänglich um wirkungsvolle Inklusionsstrategien zu entwickeln.
In einer ersten Vorstudie soll in diesem Beitrag gezeigt werden, welche Schulformen deutsch-polnische Austauschprojekte mit Förderung des DPJW in Niedersachen durchführen.
Dieses Bundesland wurde deshalb ausgewählt, da es zu den besten „Kunden” des Deutsch-Polnischen Jugendwerks im Bundesländervergleich gehört. 2014 haben insgesamt 153 vom DPJW geförderte und als schulisch definierte Projekte in Niedersachen stattgefunden; hinzu kommt ungefähr eine vergleichbar große Zahl von Rückbegegnungen in Polen unter Beteiligung niedersächsischer Schulen.
306 Schulen sind in Niedersachen im deutsch-polnischen Schüleraustauch mit Förderung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks in den letzten fünf Kalenderjahren (2011-2015) aktiv gewesen (Stand: 19.8.2015). Ein erster Blick auf die Schulen, die deutsch-polnische Austauschprojekte mit Förderung des DPJW in Niedersachsen durchführen, scheint die These zu bestätigen, dass Austausch Sache der Gymnasien ist. Diese Schulform stellte im Untersuchungszeitraum mit 35,6 % die größte Gruppe von im Austausch aktiven Schulen in diesem Bundesland dar.*
16,7 % aller aktiven Schulen sind Oberschulen; seit 2011/2012 die niedersächsische Schulform, die vorherige Haupt- und Realschulen zusammenfasst.** Berücksichtigt wurden hier auch vereinzelte Oberschulen mit zusätzlichem Grund- oder Gymnasialzweig.
An dritter Stelle kommen fast gleichauf alle Formen beruflicher Schulen sowie die Gesamtschulen.
12,4 % (berufliche Schulen) bzw. 13,1 % (Gesamtschulen) der vom DPJW als aktiv erfassten Schulen gehörten in den letzten fünf Jahren zu diesen Kategorien. Nur 7,5 % aller deutsch-polnischen Schüleraustausch in Niedersachsen durchführenden Schulen waren Realschulen und 6,5 % verbundene Haupt- und Realschulen. Reine Hauptschulen stellten schließlich gar nur 2,0 % an der Gesamtheit.
Mit 2,3 % vertreten waren 2011 – 2015 Grundschulen*** und mit 1,3 % Förderschulen.
Nicht eindeutig den oberen Kategorien zuordnenbar waren 2,0 % aller Schulen.****
Wichtig ist zu betonen, dass die vorgestellten Prozentzahlen keine Auskunft über die tatsächliche Anzahl an durchgeführten Projekten oder Teilnehmenden per Schulform geben, sondern lediglich darstellen, wie sich das Verhältnis der einzelnen Schulformen zur Gesamtzahl der im Austausch mit dem DPJW aktiven Schulen in Niedersachsen gestaltet.
Diese erste Vorstudie zeigt eindeutig, dass gerade im Förderschulbereich das DPJW-Angebot bisher sehr wenige Schulen erreicht. Als überraschend kann gelten, dass die Oberschulen (inklusive Haupt- und Realschulen) an der Grundgesamtheit der Austausch organisierenden Schulen immerhin fast ein Drittel (32,7 %) stellt und damit nur knapp hinter dem Gymnasium liegt. Der Autor hätte vor der Datenausswertung hier einen niedrigeren Wert erwartet.
Diese erste vorsichtige Einschätzung zur Breitenreichweite des DPJW-Angebots in Niedersachen muss aber auch noch dadurch eingeschränkt werden, dass das DPJW beispielsweise keine Daten bei Gesamtschulen erhebt, welche Schülerinnen und Schüler – vom Gymnasial- oder doch Haupt- oder Realschulzweig – am Austausch tatsächlich teilnehmen.
Vergleiche zu Austausch mit anderen Partnerländern außer Polen sowie auch innerdeutsche mit anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, scheinen geboten. Weiterhin müsste die Anzahl an Projekten pro Schultyp sowie der tatsächlich erreichten Schüler/-innen in Verbindung mit der von ihnen besuchten Schulform erhoben werden.
Für Niedersachsen zeigt sich zunächst: Schüleraustausch mit Polen wirkt durchaus auch jetzt schon in die Breite der Gesellschaft. Dass jedoch Schülerinnen und Schüler aller Schulformen gleichmäßig erreicht werden, kann noch nicht behauptet werden.
Malte Koppe war bis 2016 Mitarbeiter im Förderreferat Schulischer Austausch im Deutsch-Polnischen Jugendwerk.
Graphiken: © Deutsch-Polnisches Jugendwerk
* Grundlage der Kategorisierung sind die in der DPJW-Datenbank SOWA hinterlegten Schulnamen sowie ein stichprobenartiger Abgleich dieser mit den Internetseiten der Schulen. Als aktive Schulen gelten in der DPJW-Datenbank solche, die in den letzten fünf Jahren mindestens ein Projekt mit DPJW-Förderung durchgeführt haben. Berücksichtigt sind dabei auch abgesagte oder vom DPJW abgelehnte Projekte. Nicht in der Grundgesamtheit von 306 Schulen berücksichtigt sind solche, die Begegnungen in Kooperation mit federführenden außerschulischen Partnern aus Deutschland durchführen. Nicht berücksichtigt in dieser Analyse sind außerdem Schulen, die deutsch-polnischen Austausch ohne DPJW-Förderung durchführen. Die DPJW-Datenbank stützt sich auf die von den Schulen übermittelten Förderanträge.
**Die mit der fünften Klasse beginnende Oberschule fasst die Haupt- und Realschule zu einer Schulform zusammen. Die Angliederung eines Gymnasialzweiges mit Unterricht bis zur Klasse 10 ist möglich. Das Abitur kann allerdings weiterhin nur an Gymnasien oder Gesamtschulen mit Oberstufe abgelegt werden. Es bestehen aber auch weiterhin Haupt- und Realschulen. (Quelle: Wikipedia, 18.08.2015, 17:09 Uhr)
*** Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Mindestförderalter nach den DPJW-Richtlinien, wenn auch Ausnahmen möglich sind, bei 12 Jahren liegt.
****Der an 100 % fehlende Anteil resultiert aus Rundungen.