Theater zum Thema 'Krieg' - über Grenzen hinweg
39 Schüler*innen aus drei Ländern, sieben schulische und außerschulische Partner, Profis vom Theater und Aufführungen auf renommierten Bühnen in Deutschland, England und Frankreich: Das Austauschprojekt „Sag mir, wo die Blumen sind“ hat nach und nach schwindelerregende Ausmaße angenommen.
„Es kam eins zum anderen“, erzählt Lehrerin Christine Riesenhuber vom Werdenfels-Gymnasium in Garmisch-Partenkirchen. „Wir planten für unseren trilateralen Austausch ein Theaterstück und wollten es ein bisschen professionell begleiten lassen – wir dachten da an ein paar Workshops. Aber das Münchner Residenztheater, das sich sofort dafür begeisterte, wollte das volle Programm! Und wir haben uns auch nur kurz gewehrt, als sie vorschlugen, eine Koproduktion mit Premiere in München zu machen.“
Je 13 Schüler*innen des Werdenfels-Gymnasiums in Garmisch-Partenkirchen, des Lycée Ozanam in Lille und der Bay House School in Gosport (England) führten so ein einstündiges Stück zum Thema Erster Weltkrieg auf. Wie im gesamten Stück waren auch im Titel alle drei Sprachen vertreten: „Where Have all the Flowers Gone – Sag mir, wo die Blumen sind – Que sont devenues les fleurs“.
Auf der Bühne wurde das Thema nicht nur künstlerisch umgesetzt, sondern dem Publikum auch die Hintergründe des Austauschprojekts vorgestellt:
„Wir konnten uns nicht vorstellen, was es bedeutet, in den Krieg zu ziehen. Deshalb reisten wir zu den Schlachtfeldern, Gräbern und Friedhöfen, sowie zu Gedenkstätten und Museen. Wir waren bei unendlich großen Massengräbern. Und noch größeren Gedenkstätten. Wir wurden in Dreiergruppen aufgeteilt. There was always one french, one german and one english student.“
Um Krieg, Frieden, Völkerverständigung und europäische Zusammenarbeit ging es in dem Austauschprojekt. Den Anfang machte im Jahr 2016 eine Schülerbegegnung in Lille, bei der die Jugendlichen die Hintergründe des Ersten Weltkrieges im Archiv recherchiert, Schlachtfelder und Museen besucht, einen deutschen Soldatenfriedhof gemeinsam gereinigt und erste Theaterworkshops absolviert haben. Nach einer Arbeitsphase in den jeweiligen Schulen trafen sich die Schüler*innen erneut im März 2017 in Gosport, um der Frage nachzugehen, warum der Erste Weltkrieg den Zweiten Weltkrieg und noch so viele weitere Kriege nach sich zog. Daraus entwickelten die Jugendlichen weitere Theaterszenen.
Eine erste Gesamtfassung erprobten sie Ende 2017 während einer weiteren Schülerbegegnung in Garmisch-Partenkirchen auf der Bühne. Das ganze Theaterstück war nach den Endproben am 19. April 2018 erstmals am Residenztheater in München zu sehen, bevor weitere Aufführungen in München, Garmisch-Partenkirchen und eine Tournee nach Lille, Amiens und Gosport im Mai/Juni 2018 das Projekt abrunden.
Organisatorisches und Zuspruch
Zwei Lehrkräfte leiteten das Projekt auf Seite der deutschen Schule. Die gesamte inhaltliche Arbeit am Stück konnten sie dem Residenztheater abgeben und sich auf das Organisatorische – Flüge, Finanzen, Hotels – konzentrieren. „Und das war auch mehr als genug! Wir haben von der Schule zwar eine Stunde pro Woche dafür geschenkt bekommen, aber das reicht natürlich nicht. Es war ein riesen Aufwand und ging schon auch an die Substanz“, erzählt Christine Riesenhuber.
Und nicht zuletzt betreuten sie neben dem Organisatorischen auch die Jugendlichen: Denn diese, erklärt die Lehrerin, mussten auch lernen, einander auszuhalten. Daran seien sie gewachsen, brauchten aber manchmal Zuspruch und Unterstützung, etwa wenn es manchmal hieß: „der andere macht aber nicht, wie er sollte…“ Und auch die Bedürfnisse der Künstler*innen mit jenen der Schüler*innen, der Lehrkräfte und der Schule zusammenzubringen sei manchmal eine Herausforderung gewesen, so Christine Riesenhuber:
„Gerade zwischen den Künstler*innen und den Jugendlichen mussten wir Lehrkräfte manchmal vermitteln. Zum Beispiel, als die Rohfassung des Stücks stand und die Schüler*innen mit manchen Szenen nicht einverstanden waren. Da kamen die Schüler*innen erst mal auf mich zu und meinten: „Können Sie mal mit denen reden?“ Es entstand dann ein offener Gedankenaustausch, die Künstler*innen erklärten sich, manchen Szenen blieben, manche mussten gehen. Oder auch bezüglich des Tagesablaufs: teilweise dauerten die Proben den ganzen Tag, aber die Schüler*innen wollten auch mal Freizeit. Da mussten wir den Anspruch des Residenztheaters mit den Bedürfnissen der Jugendlichen in Einklang bringen.“
Das Projekt wurde gefördert vom Deutsch-Französischen Jugendwerk und über Erasmus+. Doch daneben galt es auch, Honorarleistungen für die Künstler*innen, das Bühnenbild und dessen Transport mit dem LKW nach Frankreich und England zu finanzieren – dadurch kamen noch 40.000 Euro obendrauf. Bei Firmen klopfte Christine Riesenhuber und ihr Kollege Stefan Bues für Sponsoring an, beim Rotary Club, beim Deutsch-Französischen Institut und bei Stiftungen für weitere Unterstützung. „Wir waren heilfroh, dass es funktioniert hat und wir das Geld am Ende zusammen hatten.“ Auch durch Ticketverkäufe kamen Einnahmen zustande, und das Residenztheater habe sich natürlich finanziell beteiligt – doch auch deren Etat sei nicht unerschöpflich.
Schüler*innen von Profis gecastet
13 Schüler*innen pro Land durften teilnehmen, es gab ein Bewerbungsverfahren. „An unserer Schule lief das so ab, dass vier Künstler*innen vom Residenztheater aus den 30 Interessent*innen eine Auswahl getroffen haben. Schulintern war das nicht unumstritten: die künstlerisch-kreativen Jugendlichen sind nicht immer die mit den besten Noten. Und da mit dem Projekt ja auch Abwesenheiten verbunden waren, gab es auch mal ein Murren aus dem Kollegium“, so Christine Riesenhuber.
Als Lehrerin für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde kannte Christine Riesenhuber die Schüler*innen teilweise:
„Die persönlichen und fachlichen Entwicklungen waren enorm. Anfangs dachten wir, dass nicht unbedingt alle auf der Bühne stehen müssen. Aber am Ende waren nicht nur alle auf der Bühne, sondern sie haben dort auch Solos gesungen, Instrumente gespielt und in Fremdsprachen gesprochen. Die Persönlichkeitsentwicklung war nicht zu übersehen, sie trauten sich, sich zu zeigen, präsentieren und waren stolz auf ihr Produkt.“
Die Arbeitssprache war im Gesamtteam Englisch, bei zwischenzeitlichen Workshops auch mal Deutsch. „Die Schüler*innen haben sich geholfen, viel Arbeit hat in Kleingruppen – je ein*e Jugendliche*r aus Deutschland, Frankreich und England – stattgefunden. Insbesondere auch im Theaterstück haben wir versucht, alle drei Sprachen gleichrangig zu behandeln“, erklärt Christine Riesenhuber. Und da die Jugendlichen bei den Austauschbegegnungen in Gastfamilien gewohnt haben, konnten sie natürlich auch dort ihre Fremdsprachkenntnisse einsetzen.
Nicht zuletzt entstand bei den Jugendlichen ein Problembewusstsein für das Thema Krieg und Frieden, erklärt ihre Lehrerin: „Sie haben gelernt, über die Grenzen zu blicken, internationaler zu denken und natürlich hat auch der Brexit beschäftigt.“
Drei intensive Jahre, viele Freundschaften
Drei Jahre hat das Projekt inklusive Vorbereitung gedauert. „Dieses Jahr ist unser Erholungsjahr. Auch wenn es sehr bereichernd war und wir alle eine Menge gelernt und Spaß gehabt haben, brauchen wir erst mal eine Pause“, erzählt Christine Riesenhuber. Manches sei auch nicht ohne Frustration abgelaufen. Ein weiterer Grund für die Pause ist auch, dass die Intendantin vom Residenztheater gerade nach Wien wechselt. Geplant ist deshalb im kommenden Jahr eine Kooperation mit dem Burgtheater in Wien. „Die Idee wäre, etwas in Richtung Osteuropa zu machen, in Hinblick auf Grenzen, Flucht und Migration“, verrät Christine Riesenhuber.
Doch auch im „Erholungsjahr“ pausiert der internationale Austausch nicht: die Schulpartnerschaft zwischen Garmisch-Partenkirchen und Lille läuft weiter, zwei französische Schüler*innen aus dem Projekt besuchen nun für ein Jahr die Schule in Garmisch-Partenkirchen. „Dass wir uns mit den beiden Jugendlichen aus Frankreich nun schon ganz gut auf Deutsch unterhalten können und insgesamt beim Projekt viele Freundschaften entstanden, ist schön zu sehen“, so Christine Riesenhuber. Und diese Freundschaften sind – trotz des schwierigen Themas – auch den Zuschauer*innen aufgefallen, wie ein Theaterkritiker von „Kultur in München“ erklärt:
„Das Stück regt zum Nachdenken an und bringt mehr Klarheit in die Vergangenheit der drei Nationen. Vor allem, und das merkt man besonders an dem selbstverständlichen Miteinander der Schüler, hinterlässt das Stück viele internationale Freundschaften. Als interkultureller Austausch ist das Projekt – und hoffentlich eines von vielen weiteren – auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.“