Von und mit Schüler*innen aus der ganzen Welt lernen
Noch internationaler geht es kaum: An den United World Colleges kommen Jugendliche aller Nationalitäten, Kulturen und sozialen Hintergründe zusammen. Einblicke in die Welt der United World Colleges – auch aus Sicht der Freiburger Englischlehrerin Ksenia Filatov.
Ein internationales Internat, das sich nicht an Eliten richtet und auch keine perfekten Englischkenntnisse voraussetzt? Gibt es: An den 17 United World Colleges geht es nicht darum, dass sich die Reichen und Schönen vom Rest der Welt separieren. Im Gegenteil: Die Jugendlichen, die zwei Jahre gemeinsam am College leben, bringen die unterschiedlichsten Hintergründe mit, sie sollen sozusagen ein Abbild der ganzen Welt darstellen. Ermöglicht wird das durch ein umfangreiches Stipendienprogramm.
Ob in Norwegen, Costa Rica, Swasiland oder den 14 weiteren Ländern: Die internationale Erfahrung steht an den United World Colleges im Vordergrund. Einerseits lernen die Jugendlichen im Internatsalltag von- und miteinander: vier Schüler*innen unterschiedlicher Nationalitäten teilen sich ein Zimmer, und auch die Klassen sind natürlich möglichst heterogen. Andererseits stehen außerschulische Lernorte im Curriculum: „Freiwillige Arbeit in gemeinnützigen Projekten prägt die Schüler nachhaltig. Sie setzen sich so nicht nur mit anderen Lebenswelten auseinander, sondern lernen auch, in verschiedenen Kontexten Verantwortung zu übernehmen“, beschreibt UWC auf der Webseite die Vorzüge dieses Ansatzes.
Internationale Erfahrung in der Heimat
Auch in Deutschland ist seit vier Jahren ein UWC beheimatet. „Die ganze Welt an einer Schule“, so der Slogan des UWC Robert Bosch College in Freiburg. 50 Plätze für deutsche und 150 Plätze für internationale Schüler stehen dort bereit, außerdem hat sich das College zum Ziel gesetzt, jedes Jahr zwei Stipendien an in Freiburg lebende Flüchtlingskinder zu vergeben. Als Teil des weltweiten Netzwerks der United World Colleges (UWC) können Jugendliche zwischen 16-19 Jahren so auch in Deutschland eine internationale Schulbildung auf Stipendienbasis bekommen. „Es kommt nicht darauf an, wo man herkommt, sondern wo man hin will“, steht zum Thema Chancengleichheit auf der Website.
Die Bewerbung für das UWC Robert Bosch College und die 16 anderen Schulen erfolgt über sogenannte Nationalkomitees. 160 gibt es davon mittlerweile weltweit. In Deutschland ist das die Deutsche Stiftung UWC. Sie ist verantwortlich für die Auswahl und Finanzierung der deutschen Jugendlichen. Vor allem Alumni engagieren ich in den Nationalkomitees – sie wissen schließlich am besten, welche Herausforderung dieser Bildungsweg bedeutet und wem man sich zutrauen kann, wer davon maximal profitieren kann.
Seit 2016 arbeitet Ksenia Filatov am UWC in Freiburg. „Davor hatte ich weder Erfahrung mit UWC, noch überhaupt internationale Schulerfahrung“, so die Englischlehrerin. Zu ihrem bisherigen Berufsalltag gebe es große Unterschiede: „Es ist ein Internat. Die Lehrkräfte spielen aus diesem Grund eine wichtige Rolle im Leben der Schüler*innen. Das heißt auch, dass ich mir manchmal am Abend Zeit nehmen muss für sie, um mich um persönliche und schulische Krisen zu kümmern, oder die Klasse nachmittags abseits vom Campus betreue.“ Durch die bewusst herbeigeführte Diversität der Schüler*innen sei das Klassenzimmer ein dynamischer Ort, „mit der ständigen Möglichkeit, von den unterschiedlichen Erfahrungen und Einblicken der Schüler*innen zu profitieren“. Die unterschiedliche Herkunft und Hintergründe er Jugendlichen wirken sich natürlich auch auf das Niveau der Sprachkenntnisse aus: „Wie noch nie zuvor in meine Karriere muss ich mich auf die individuellen Bedürfnisse von jedem Lernenden einstellen.“
Kompromisse zwischen Akademischem und Außerschulischem
Die andere Seite der Medaille sei, dass auch die Lehrkräfte den Terminkalender ihrer Schüler*innen kennen müssen. „Abgesehen davon, dass mein Fach nur eines von sechs ist, muss ich daran denken, dass das Akademische nur ein Aspekt des ganzheitlichen Lernens ist, das hier stattfindet“, so die Englischlehrerin. Kompromisse seien notwendig, etwa beim Umfang der Hausaufgaben. „Ich muss Prioritäten setzen und mich immer fragen „Was ist wirklich wichtig?". Meiner Meinung nach ist dies eine gesunde Übung für jede Lehrkraft, denn sie hält uns reflexiv und flexibel.“
Diese Überlegungen beeinflussen auch immer ihre Unterrichtsgestaltung: „Es gibt eine bewusste Vielfalt an Texten und Themen, die ich für den Unterricht auswähle, weil ich möchte, dass meine Schüler*innen in Fragen von globaler Bedeutung versiert sind“, erklärt Ksenia Filatov. Zum Beispiel erforschte sie mit ihren Schüler*innen letztes Jahr das Thema der indigenen Völker und Kulturen durch Geschichten von Aktivismus, Resilienz und Versöhnung. „Zudem dienen die vielfältigen außerschulischen Erfahrungen der Schüler*innen auch als Anregung für das Schreiben“, ergänzt sie.
Bereit für Veränderungen
„Die Erfahrung am UWC kann das Leben der Jugendlichen wirklich verändern, wenn sie denn bereit sind für diese Veränderung“, so die Englischlehrerin. Wer nun darüber nachdenkt, seinen Schüler*innen oder den eigenen Kindern eine Bewerbung für ein UWC nahezulegen, soll sich laut Ksenia Filatov überlegen, ob folgende Voraussetzungen gegeben sind:
- eine positive Lebenseinstellung
- Offenheit, aus allen Erfahrungen zu lernen
- Bereitschaft, sich in einem strengen schulischen und einem reichhaltigen außerschulischen Programm zu engagieren
Auf der Website der UWC ist bei den Infos zum Bewerbungsverfahren denn auch zu lesen: „Wir weisen darauf hin, dass die zwei Jahre am College eine bereichernde, aber sehr intensive und herausfordernde Zeit werden, für die du ein hohes Maß an persönlicher und mentaler Stärke und Stabilität mitbringen solltest.“
Für die, die sich zwei Jahre im Ausland nicht zutrauen, bietet UWC als kleineren Rahmen Short Courses an – hier werden dieselben Ideale verfolgt, jedoch als Sommerfreizeit für zwei bis drei Wochen. Die Kurse finden in Regionen mit politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder umweltpolitischen Problemen statt. Und natürlich bringen die Teilnehmenden auch hier die diversesten Hintergründe mit.
Hoffnungsvolle junge Menschen
Auch für die Lehrkräfte zahlt sich diese internationale Atmosphäre aus: Sie lerne von den Schüler*innen, erklärt Ksenia Filatov und zählt auf: Demut, Diplomatie, emotionale Intelligenz, echte Fürsorge. Zudem lerne man auch, sein Privileg zu erkennen und seine Augen für die Vielfalt der Welt und der menschlichen Erfahrungen zu öffnen. Und nicht zuletzt freue sie sich darüber, dass unglaublich widerstandsfähige, intelligente und hoffnungsvolle junge Menschen in der heutigen Welt existieren. „Ich schätze die Zusammenarbeit mit leidenschaftlichen Kolleg*innen aus der ganzen Welt, die einzigartige Perspektiven und Erfahrungen mitbringen. Keine Lehrkraft in einem UWC tut es "für das Geld", und das schafft eine wunderbare Synergie und gute Freundschaften!“