„Wir sind jetzt wie Geschwister“
Elf Tandems, bestehend aus je einer Russisch-Lehrkraft aus Sachsen-Anhalt und einer Deutsch-Lehrkraft aus Russland, arbeiten dieses Schuljahr im Projekt „Zwei Kulturen und zwei Zielsprachen – aber eine themenorientierte Kommunikation“ zusammen. Sie erweitern dabei ihre sprachlichen, landeskundlichen und digitalen Kompetenzen, schließen Freundschaften und bringen die Partnerschule in ihr Klassenzimmer.
Den Anfang machte ein Speed-Dating: Beim ersten Modul, im August vergangenen Jahres in Magdeburg, lernten sich die Teilnehmenden aus Sachsen-Anhalt und aus ganz Russland kennen und verbrachten eine gemeinsame Woche. „Beim Speeddating hatten wir etwas Bauchschmerzen, ob das aufgeht. Aber: es hat perfekt gepasst, in fünf Minuten hatten wir die Zuteilung und somit elf Tandems!“, erinnert sich Sandra Riethmüller, Fachbetreuerin Russisch für Sachsen-Anhalt (Foto rechts).
In diesen Tandems arbeiten die Lehrkräfte – bis auf eine Ausnahme übrigens alles Frauen – ein Schuljahr lang zusammen. Neben Kennenlernen und Sprachanimation, unterstützt von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, wurden den Teilnehmenden in der Woche digitale Tools und Plattformen nähergebracht, deren Nutzung die Voraussetzung für das zweite Modul war. Dabei arbeiten die Tandems, unterstützt durch Online-DaF-Lehrerin Nadja Blust, ein Schuljahr lang via Internet (analog zu eTwinning) zusammen, z.B. in Form von Online-Konferenzen, gegenseitiger Präsentationen von medialen Arbeitsergebnissen oder durch die kollaborative Arbeit an einem gemeinsamen Produkt.
Unterricht profitiert schon jetzt
Gemeinsam sprechen die Tandems Deutsch und Russisch, im Online-Notizbuch mischen sich die Sprachen. „Die Kolleg*innen lernen voneinander und miteinander“, so Nadja Blust (Foto links). Monatlich führt sie mit jedem Tandem eine Skype-Konferenz. Dabei gehe es insbesondere um technische Unterstützung, denn nicht alle Teilnehmenden seien besonders medienaffin, dafür jedoch sehr neugierig. Zunehmend hört Nadja Blust von ihren Schützlingen auch, dass sie allein klarkommen und ihre Probleme selbständig lösen wollen. „Das ist natürlich ein gutes Zeichen!“, betont Sandra Riethmüller.
Vom Projekt profitiere der Unterricht in beiden Ländern. „Die Motivation der Teilnehmenden aus Deutschland besteht darin, mit Menschen in Russland Kontakt zu haben. Und das, was man im Unterricht produziert, nicht für die Schublade zu machen, sondern weiterzugeben“, sagt Sandra Riethmüller. Wenn deutsche Schüler*innen auf Russisch über ihre Stadt schreiben, ist das für die russischen Jugendlichen eine spannende Geografie- und Landeskundelektion. Es erhöht die Motivation der Schüler*innen – auf beiden Seiten.
Begegnungen mit wenig Aufwand
Die Teilnehmenden verfügen über wenig Erfahrung im internationalen Austausch, nur zwei der deutschen Russischlehrkräfte haben schon Begegnungen durchgeführt. So bestand für alle auch ein Ziel darin, einen Austauschpartner zu finden. Und es gehe gut voran, freut sich Nadja Blust: „Drei oder vier Tandems haben schon Fahrten vereinbart.“ Was viele Teilnehmende am Projekt gereizt habe, so Sandra Riethmüller, sei auch die Möglichkeit, den Schüler*innen internationale Begegnungen zu verschaffen, ohne den großen organisatorischen Aufwand einer Austausch-Fahrt auf sich zu nehmen.
Die deutschen Teilnehmenden – zehn Frauen, ein Mann – sind durchschnittlich wesentlich älter als die russischen Kolleginnen. Die Ursachen bestünden darin, dass viele der Russischlehrkräfte aus Sachsen-Anhalt noch zu DDR-Zeiten ausgebildet wurden und es gegenwärtig nur sehr wenig Nachwuchs gibt, so Sandra Riethmüller. „Dass sich auf russischer Seite eher jüngere Lehrkräfte um die Teilnahme am Tandemprojekt beworben haben, liegt sicher an deren größerer Offenheit bei der Nutzung digitaler Medien“, kommentiert Nadja Blust. Trotz Altersunterschied haben die Teilnehmenden zueinander gefunden – auch durch gemeinsame Themen, etwa die geringe Attraktivität der Partnersprachen. Auf beiden Seiten müssen die Lehrkräfte deshalb Wege finden, um zu motivieren und zu begeistern.
Gleiche Charaktere, unterschiedlich alte Schüler*innen
„Wir sind jetzt wie Geschwister“, hören die beiden Veranstalterinnen von Teilnehmer*innen. Die Charaktere passen perfekt zusammen, schließlich haben sie einander selbst ausgesucht. Dies heißt handkehrum, dass das Alter der Schüler*innen nicht immer zusammenpasst – was aber zu interessanten Konstellationen führt und keineswegs ein Nachteil sei: „Auf der einen Seite sind die Jugendlichen 13, 14 Jahre alt, auf der anderen 17, 18 Jahre. Aber sie kommunizieren trotzdem, es funktioniert!“, freut sich Nadja Blust.
In den Klassenzimmern angekommen
Von der Weiterbildung ist schon einiges in den Klassenzimmern – in beiden Ländern – angekommen. „Wir haben uns gesagt: wenn auch nur die Minimalvariante gefahren wird – der Sprachaustausch und die Verbesserung der Sprachkompetenzen der Lehrkräfte – ist das schon ein Erfolg“, erklärt Sandra Riethmüller Doch dabei scheint es keines der Tandems zu belassen: Sie planen Austausche, Ferienlager, die Schüler*innen treffen sich im Videochat, auf WhatsApp, ja sie schicken einander sogar gegenseitig ihre Hausaufgaben.
Das Digitale und das Analoge mischen sich: Weihnachtsgeschenke wurden ganz klassisch per Post verschickt. Dazu gestalteten die Klassen Videos mit Grüßen und Wünschen, die Schüler*innen filmten sich beim Auspacken der Geschenke. Ganz nebenbei erweiterten sie so ihren Wortschatz rund um Weihachten sowie ihr Wissen um die Traditionen im Partnerland.
Online-Abschlusskonferenz
Im dritten Modul, einem Webinar, stellt jedes Tandem-Paar sein Projektergebnis vor. Diese Phase ist auch für Externe geöffnet, sie dient der gegenseitigen Inspiration und der Akquise zukünftiger Teilnehmer*innen. Den 4. Juni, 18 Uhr, sollten sich Interessierte deshalb schon vormerken. Nach vorheriger Anmeldung bei Sandra Riethmüller besteht die Möglichkeit, der Online-Konferenz direkt beizuwohnen. Alternativ kann man die Videoaufzeichnung anschauen, die einige Tage später auf dem YouTube-Kanal von Nadja Blust veröffentlicht wird.
Die gemeinsame Projektarbeit ist dann offiziell beendet – aber der Funke sei ja jetzt schon übergesprungen. Zweifel an der Fortführung der Zusammenarbeit in den Tandems haben Sandra Riethmüller und Nadja Blust keine.
Die Fortbildung wird in diesem Jahr zum ersten Mal angeboten, ist aber bei entsprechender Resonanz als Wiederholungsveranstaltung geplant. Nächstes Jahr jedoch nicht, denn genügend deutsche Teilnehmende zu finden in Sachsen-Anhalt sei gar nicht so einfach gewesen: Für das erste Modul mussten die deutschen Lehrkräfte eine von nur sechs Sommerferienwochen investieren. Für die russischen Lehrkräfte, mit drei Monaten Sommerferien und der Aussicht auf eine Reise nach Deutschland, war die Teilnahme attraktiver. Die Auswahl erfolgte dort über einen Bewerbungswettbewerb, bei dem sich Interessent*innen in einem Video präsentieren mussten.
Neben der schwierigen Teilnehmerakquise auf deutscher Seite ist es auch der Kostenfaktor, der gegen eine sofortige Wiederholung spricht. Die Finanzierung wird über das Landesinstitut für Schulentwicklung und Lehrerbildung (LISA) und – da die Kosten auf russischer Seite dadurch nicht gedeckt werden können – zusätzlich durch das Ministerium für Bildung (MB) in Sachsen-Anhalt realisiert.
Nadja Blust würde mit dem Projekt jedoch auch in andere Bundesländer gehen: „Das würde mich natürlich reizen, als DaF-Online-Lehrerin finde ich meine Berufung in solchen Projekten.“
Ein Beitrag von Christine Bertschi