Veranstaltungsbericht

Zeit und Raum für Austausch-Diskussionen

Eindrücke von der Regionalkonferenz „Austausch macht Schule“ in Leipzig
Diskussion in einer von 24 Gruppen

Über 160 Lehrkräfte, Schulleitungen, Mitarbeitende der Schulbehörden, Kultusministerien und Träger der internationalen Jugendarbeit aus Sachsen und Sachsen-Anhalt kamen am 11. September auf der dritten Regionalkonferenz „Austausch macht Schule“ in Leipzig zusammen. Statt Vorträgen gab es Open Space – also ganz viel Zeit und Raum, um über die Themen zu diskutieren, die den Teilnehmer*innen am Herzen liegen. Und weil nicht alle überall sein konnten, wurden im Abschlussplenum ausgewählte Fragen diskutiert und zudem alles dokumentiert.

Ein reger Austausch fand bei der Konferenz in Leipzig statt: Austausch-Neulinge baten um den „Rat der Alten Hasen zum Start eines Austauschvorhabens“, und neben vielen Lehrkräften und Schulleiter*innen waren außerschulische Träger ebenso dabei wie Vertreter*innen der Förderorganisationen und der Verwaltung.

Das Themenspektrum der über 20 Diskussionsrunden reichte von der Finanzierung über den Zugang zu jungen Menschen bis hin zu organisatorischen Fragen:

Fragen sammeln

 „Der Kollege, der sich um Austausch kümmerte, ist in Rente – wie kann das Internationale wiederbelebt werden?“

„Ich brauche Tipps zu Fördertöpfen – damit es keine Zitterpartie bleibt.“

„Wer hat Erfahrungen mit internationalen Projekten mit Schüler*innen mit Handicaps?“

 „Wie begeistert man für ein Land, von dem die Schüler*innen vorher noch nie gehört haben?“

 „Was müsste grundlegend verändert werden, um Lehrkräfte zu entlasten bei internationalem Austausch und wie können außerschulische Träger unterstützen?“

Fördermöglichkeiten

In der Gruppe „Fördermöglichkeiten“ etwa versammelten sich über 30 Personen – denn ohne Geld kein Austausch. Die Teilnehmenden wünschten sich nicht nur Hilfe bei der Antragsstellung, sondern auch verlässliche Gelder: Denn die Planung eines Austauschvorhabens beginnt meist lange vor Genehmigung der Fördermittel.

Deutlich wurde in dieser und manch anderer Diskussion aber auch, dass die Informations- und Unterstützungsangebote zu Schul- und Schüleraustausch noch nicht durchgehend bekannt sind. So regte ein Lehrer zum Beispiel an, dass es hilfreich wäre, wenn man die Förderer für verschiedene Länder auf einer Seite finden könnte – dies ist auf unserer Website bereits der Fall. Und auch die gewünschte Übersicht über Fördermöglichkeiten aus Landesmitteln gibt es bereits.

Entgegen einer allzu fordernden Haltung betonte eine Teilnehmerin: „Alles ist mit ein bisschen Aufwand verbunden. Wenn man weiß, welches Land es werden soll, kann man sich an die entsprechende Stelle wenden und ein Handbuch und Checklisten anfordern. Man muss erst mal wissen, wonach man sucht, dann findet man die Informationen.“ Und auf die Frage „Was können wir selbst dafür tun?“ auf dem Flipchart-Bogen lautete eine der Antworten: „Die Webseiten auf der Rückseite der Konferenzmappe besuchen.“

Diskussion der Ergebnisse im Plenum

Am Nachmittag kam das Thema in einer Gruppe nochmal zur Sprache: es fehle eine zentrale Anlaufstelle für alle Akteure. „Zentrale Messen wie diese hier heute sind ein Anfang“, meinte ein Teilnehmer. Doch wünschen würde man sich eine Datenbank mit Filter- und Suchfunktion, vielleicht von einem Partner aus der Zivilgesellschaft geführt. Dieser könnte dann gleich auch noch Lobbyarbeit übernehmen und „bei passender und unpassender Gelegenheit betonen, dass internationaler Austausch wichtig ist und gefördert werden muss“. Dass dies ziemlich genau der Idee und Rolle von „Austausch macht Schule“ entspricht, zeigt einerseits den Bedarf auf, andererseits aber auch die heute noch mangelnde Bekanntheit der Plattform.

Eine kleine Gruppe diskutierte über Erasmus-Anträge – und nutzte die Gelegenheit, um unter Gleichgesinnten Dampf abzulassen: „Wir steckten mehrere Wochen Nachtschicht in den Antrag, haben eine Menge Inhalte generiert“, so ein Teilnehmer. Sein Gegenüber bestätigte: „Es ist eine enorme Vorarbeit, 70 Seiten Antragslyrik – und dann die knappe Ablehnung.“ Zudem stehe man als Lehrer unter Generalverdacht: „Du willst eine Woche Urlaub in Poznań machen“, heiße es, wenn man ein Austauschvorhaben vorbereite. „Man saugt sich Programminhalte aus den Fingern, beschäftigt sich mit Bergbaufolgelandschaften – aber die Jugendlichen wollen einfach nur in dem See baden.“

Teilnehmerakquise

Um die Frage, wie man Schüler*innen findet, die man ins Ausland mitnehmen kann und will, ging es in einer weiteren Gruppe. Während für manche Lehrkräfte ganz klar ist, dass die Schule und die Lehrer*innen darüber entscheiden, wer mit darf und dass der Reisebus nur voll werde, wenn die Ausschreibung klassen- und stufenübergreifend stattfinde, beschäftigte eine Englischlehrerin eine andere Frage: „Wie kann ich umsetzen, dass die ganze Klasse teilnimmt und nicht nur Freiwillige mitfahren?“, fragte sie. Sie wolle ihre Schülerinnen und Schüler gar nicht vor die Wahl stellen, sondern allen diese Erfahrung ermöglichen – gerade den Jugendlichen aus bildungsfernen Familien. Ein Knackpunkt seien dabei nicht nur die Kosten, sondern auch, dass längst nicht alle Familien Gastschüler*innen aufnehmen können. Und auch, dass die Jugendlichen und ihre Eltern einer Unterbringung alleine in einer Gastfamilie kritisch gegenüber stehen. Die Mitdiskutierenden hielten ihr Wissen und ihre Erfahrung nicht hinter dem Berg: Es gebe Reiseunternehmen, die Gastfamilien vermitteln, wo zwei oder drei Schüler*innen in einer Familie wohnen können. Das koste natürlich zusätzlich – aber zur Finanzierung wurde nicht nur auf die UK-German Connection verwiesen, sondern auch Kuchenbasar und Spendenlauf vorgeschlagen: „Die Schüler*innen machen es damit zu ihrem Projekt. Zudem können direkt Themen wie Finanzplanung und Organisation in den Unterricht eingebracht werden“, erklärte eine Teilnehmerin.

Ministerium im Dialog mit Lehrkräften

Heidrun Forßbohm, Austauschreferentin im Sächsischen Staatsministerium für Kultus, regte in der von ihr vorgeschlagenen Open-Space-Runde eine Diskussion dazu an, welche Unterstützung sich Schulen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit durch die Schulaufsicht wünschen. Idealerweise, so die Teilnehmenden, sollten Austausch und internationale Bildungskooperationen als Unterricht angesehen werden. Bewilligungen solcher Vorhaben sollten zeitnah und konkret erfolgen. Auch am Selbstverständnis müsse man arbeiten: „Schulen sind keine Bittsteller!“ wurde groß auf dem Flipchart notiert. „Dieses Selbstbewusstsein hat nicht jeder“, bemerkte ein Teilnehmer leise und schüttelte den Kopf. Klar sei aber auch, so Frau Forßbohm, dass internationale Begegnungsprojekte im schulischen Bereich dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, bislang Fremdes als Alltägliches zu erleben und dadurch soziale, interkulturelle und sprachliche Kompetenzen bei allen Teilnehmenden – Schüler*innen und Lehrer*innen – zu erhöhen.

Diskussionsgruppe

Hemmnisse sollen abgebaut werden, so eine Idee, um es den Lehrerinnen und Lehrern einfacher zu machen. Denn nicht nur die Erarbeitung eines pädagogischen Konzepts für den Schulaustausch koste Zeit und Kraft, noch aufwändiger sei der Bericht danach. „Warum lässt man den Sachbericht nicht von den Schülerinnen und Schülern schreiben, und die Lehrkraft ergänzt aus ihrer Sicht?“, wurde vorgeschlagen. Frau Forßbohm unterstützte diesen Vorschlag, wichtig sei jedoch, dass der verantwortliche Lehrer auch wisse, was er unterschreibe. Und sie gab zu bedenken: „Wir geben Steuergelder aus. Da ist es selbstverständlich, dass wir einen Verwendungsnachweis mit Sach- und Finanzbericht erhalten.“ Was viele zudem nicht wissen würden: Zur Abrechnung sei im Regelfall ein vereinfachter Verwendungsnachweis ohne Belege erforderlich. Wer Belege einreiche, mache sich und der Verwaltung unnötige Arbeit und riskiere schlimmstenfalls auch noch Kürzungen, wenn die Ausgaben nicht sinnvoll begründet werden und nachvollziehbar sind.

Schwarmintelligenz

Die Diskussionen führten nicht nur zu Lösungsansätzen, sondern zeigten auch, wie viele unterschiedliche Aspekte zu internationalem Schulaustausch gehören. Im Plenum zeigte man sich größtenteils zufrieden mit der Methode Open Space: „Für mich war es das erste Mal und ich war sehr skeptisch. Doch ich wurde positiv überrascht“, meinte ein Teilnehmer. Dass man mit vielen Leuten in Kontakt komme, wurde hervorgehoben, und dass man auch während der Pausen ständig im Gespräch war. Doch es gab auch kritische Stimmen: „Wir sind nicht über den Punkt der Schwarmintelligenz hinausgekommen, mir fehlte das Expertenwissen“, bedauerte ein Teilnehmer. Die offenen Fragen mussten im Raum stehen bleiben, aber andererseits hätte er viele neue potentielle Kooperationspartner kennengelernt.  

„Ich finde es schade, dass ich nicht auch noch in den anderen Gruppen sein konnte“, meinte eine Teilnehmerin. Deshalb wurden offene Fragen und auch Ergebnisse zurück ins Plenum getragen – zudem die Aufzeichnungen aller Gruppen (verlinken) dokumentiert.  

Zentrale Anlaufstelle gewünscht

Zum Wunsch nach einer zentralen Anlaufstelle für Austauschvorhaben ergänzte Bernd Böttcher, dass viele Informationen auf www.austausch-macht-schule.org zu finden seien, „aber es ist gibt keine Suchmaske, die mit zwei Klicks zum Förderer führt, der Ihnen alles finanziert.“ Jedoch dürfe man sich gerne an die Initiative wenden, die dann konkrete Ansprechpartner vermittle: „Das beste Formular kann eine persönliche Beratung nicht ersetzen.“

„Es war ein Tag der Erfahrungen heute, ich kann ganz viel Wissen mitnehmen. Nach meiner Frage zu Reisen mit Schüler*innen mit Handicap wurde ich auch in den Pausen angesprochen, ermutigt, an andere Schulen eingeladen und mit wertvollen Tipps versorgt“, erzählte eine Lehrerin begeistert.  

Sammeln von Fragen im Open Space

Im Plenum wurde auch die Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Trägern thematisiert, denn die Frage, wie außerschulische Träger sie unterstützen können, lockte kaum Lehrkräfte in die Gruppe zum Thema. „Und dies zum wiederholten Mal, auch bei den anderen beiden Regionalkonferenzen war das so“, erklärte Philipp Stemmer-Zorn von „Austausch macht Schule“. Ob ein Lehrer mal verraten könne, warum er nicht in dieser Gruppe war? Auch diese Frage führte ins Leere, immerhin aber zu einer Antwort von außerschulischer Seite: Marie-Luise Dreber, Direktorin von IJAB, erläuterte, wodurch sich die Träger der internationalen Jugendarbeit auszeichnen und welche Ziele sie verfolgen. „Generell ist es uns ein Anliegen, für die Zusammenarbeit zu werben. Dazu haben wir auch Materialien entwickelt, die auf unseren Internetseiten abrufbar sind.“ Im Plenum wurde die Vermutung geäußert, dass die Lehrkräfte nicht ausgerechnet ihre Kernkompetenz, die pädagogische Arbeit, abgeben oder teilen wollen.

Mehrfach und auch in diesem Zusammenhang angesprochen wurde das Modellprojekt der Schulverwaltungsassistenten in Sachsen, von denen 2017 sachsenweit über 30 eingestellt wurden. Diese kümmern sich zum Beispiel um Förderanträge für internationale Begegnungen oder die Reiseorganisation und entlasten somit die Lehrkräfte.

„Eigentlich müsste man das ganze Schulsystem ändern. Dafür bräuchte man aber mehrtägige Konferenzen“, konstatierte ein Lehrer. „Ich bin ganz zufrieden mit dem Besuch heute“, erklärte eine Teilnehmerin, „das merke ich auch daran, dass ich längst nicht alles besprochen habe, was mich noch interessiert hätte.“

Ein Beitrag von Christine Bertschi.

Veröffentlicht am: 19.09.2018