„In der Zeit der Pandemie sind Schulen im Vorteil, die Unterbrechungen kreativ überbrücken können.“
Das Netzwerk der UNESCO-Projektschulen in Deutschland besteht aus rund 300 Schulen und Bildungseinrichtungen – weltweit sind es 12.000 in 182 Ländern. Die gegenseitige Unterstützung im Netzwerk hilft den Schulen durch die Corona-Zeit. Wie sich Projekte und Partnerschaften unter Pandemiebedingungen gestalten, erzählt der Bundeskoordinator der UNESCO-Projektschulen Klaus Schilling im Interview.
Herr Schilling, im November fand ein dreitägiges digitales Camp mit Schüler*innen aus UNESCO-Projektschulen aus elf Bundesländern statt. Ist das ein typisches Beispiel aus Ihrem Arbeitsalltag als Bundeskoordinator?
Klaus Schilling: Wir wollten das Feld Verschwörungstheorien und Desinformation bearbeiten, weil es von absoluter Dringlichkeit ist, gerade in Corona-Zeiten. 33 Schüler*innen aus 18 Schulen haben drei Tage lang interaktiv gearbeitet. Alle haben ihr Wissen eingebracht und waren begeistert mit dabei – nun können sie etwas zurück in ihre Schulen tragen. Anschließend fand außerdem eine Fortbildung für Lehrkräfte mit über 50 Teilnehmenden statt, ebenfalls digital. Ihnen wurden Orientierungswissen und Handlungskompetenzen im Umgang mit Verschwörungstheorien mitgegeben.
Die Deutsche UNESCO-Kommission hat das virtuelle Camp in Kooperation mit der Berghof Foundation für das Netzwerk der UNESCO-Projektschulen auf die Beine gestellt. Das schließt bei uns sehr gut an, weil wir das Feld der Demokratiebildung mit sehr vielen Projekten an Schulen bearbeiten. Die UNESCO-Projektschulen sind sehr engagierte Vorreiterschulen, etwa in den Bereichen Bildung für nachhaltige Entwicklung, Demokratie- und Menschenrechtsbildung und internationale Verständigung. Die Bundeskoordination setzt so Impulse, und zwar nicht an den Schulen vorbei, sondern mit ihnen zusammen.
Was hat eine Schule davon, in Ihrem Netzwerk Mitglied zu sein?
Als Team der Bundeskoordination unterstützen wir die UNESCO-Projektschulen auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Schulentwicklung nach dem „Whole School Approach“. Das Augenmerk liegt dabei im Sinne der Handlungs- und Zukunftsorientierung immer auf den Schüler*innen.
Was an Schulen oft fehlt, ist ein „Dach“ aus gemeinsamen Werten für eine hochwertige und zukunftsfähige Bildung. Werte der UNESCO können in ihrer Vielfalt auf alle Fächergruppen ausstrahlen und das ganze Kollegium und alle Teile der Schulgemeinschaft „mitnehmen“. Es ist eine tolle Chance, dieses Dach in einem spannenden Netzwerk im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 aufzubauen. Im Netzwerk lernen wir weltweit miteinander, indem sich Menschen in Camps, internationalen Projekten und bundesweiten Fachtagungen begegnen und Freundschaften entstehen. Schüler*innen wie auch Lehrkräfte werden dadurch persönlich gestärkt und ermutigt, auch neue Wege zu beschreiten.
Wie kann eine Schule Mitglied werden?
Die Aufnahme ins Netzwerk erfolgt in zwei großen Schritten: Zuerst nimmt die Schule Kontakt mit der Landeskoordination auf, die zu einer Einschätzung kommt, ob die Schule gut ins Netzwerk passt und ob die nötigen Strukturen gegeben bzw. erreichbar sind. Mit diesem Status einer interessierten und später dann mitarbeitenden Schule hat sie Zugang zur internen Kommunikationsplattform mit Best-Practice-Beispielen, Erfahrungsaustausch und Unterrichtsmaterialien.
Im zweiten Schritt wird die Schule bei der UNESCO zertifiziert und im Zuge dessen als Mitglied des UNESCO Associated Schools Network (ASPnet) anerkannt.
Wie unterstützt das Netzwerk seine Mitglieder während der Corona-Pandemie?
Für das Netzwerk der UNESCO Associated Schools ist die im UNESCO Headquarters bestehende Internationale Koordination ein großer Vorteil. Die Kolleg*innen in Paris haben seit Anfang März 2020 das weltweite Netzwerk auf Bildungsangebote hingewiesen und eigene Projekte initiiert. Die Impulse waren thematisch sehr vielfältig: von chancengerechter digitaler Bildung über Bildung für nachhaltige Entwicklung und Kulturelle Bildung bis hin zur Global Citizenship Education.
Bereits Anfang Mai gab es ein Webinar zu den Folgen von COVID-19, an dem 600 Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern aus verschiedenen Staaten dieser Erde teilgenommen haben.
Auch der Austausch innerhalb des deutschen Schulnetzwerks ging trotz Corona rege weiter, so fand etwa unsere traditionelle mehrtägige Fachtagung für alle UNESCO-Projektschulen in Deutschland dieses Jahr digital statt – mit diskursiven Veranstaltungen am Nachmittag und einem bunten Kulturprogramm am Abend. Auch im digitalen Format hat der gewohnt intensive Austausch sehr gut funktioniert.
Wie stark leiden die internationalen Partnerschaften unter der Corona-Krise und welche Möglichkeiten gibt es, trotz der Pandemie in Kontakt zu bleiben?
Natürlich bedeutet die aktuelle Situation einen Einschnitt. Man kann nicht so tun, als ließe sich alles wie gewohnt digital weiterführen. Wenn Projekte nicht realisiert werden, bedeutet das oftmals eine schmerzhafte Unterbrechung, die alle Beteiligten trifft. Manche Schüler*innen werden an verschobenen Begegnungsreisen gar nicht mehr teilnehmen können, da sie beim Nachholtermin nicht mehr vor Ort sein werden.
Frau Prof. Dr. Annette Scheunpflug und Sonja Richter vom Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik der Universität Bamberg führen im Auftrag der Deutschen UNESCO-Kommission gerade eine Studie zum Thema internationaler Schulpartnerschaften und Kooperationen von UNESCO-Projektschulen durch. Eine der Forschungsfragen lautet, wie viele Begegnungsprojekte aufgrund der Corona-Pandemie 2020 nicht stattfinden konnten. Die Ergebnisse der Studie werden bis Mitte des Jahres vorliegen.
Unsere Kampagne „We Are All Global Citizens“ half ab Mai sehr dabei, sich gegenseitig Mut zu machen und international in Kontakt zu bleiben. Innerhalb kurzer Zeit haben die Schulen bei ihren Schulpartner*innen angeklopft und um Einblicke in ihren Alltag während der Corona-Pandemie gebeten. Der Austausch von Berichten und Fotos war ein ganz wichtiger Schritt, um die internationale Verbundenheit zwischen unseren Schulen und Partner*innen zu stärken.
Letztlich zeigt sich hier ein Kern dessen, worum es in der Corona-Krise geht: Verbundenheit zu leben, zu gestalten, solidarisch miteinander zu sein, einander zuzuhören – gerade mit Partnern in Ländern, in denen die Pandemie noch viel härter zuschlägt.
Welche Projekte konnten an den Schulen im Netzwerk trotz oder gerade durch Corona stattfinden?
Im Projekt „Back and Better“ tauschen sich zum Beispiel gerade Schüler*innen aus Italien, Deutschland, Estland, Finnland, Griechenland, den Niederlanden, Polen und Rumänien in monatlichen Videokonferenzen über verschiedene Erfahrungen und Umgangsweisen in der Zeit des Lockdowns aus. Aus Deutschland nimmt eine UNESCO-Projektschule aus Freising, das dortige Montessori Zentrum, teil. Das Meeting im Februar 2021 soll zudem auch um Teilnehmende aus Schulen auf anderen Kontinenten erweitert werden. Durch den gemeinsamen Austausch wird die internationale Verbundenheit in dieser Krise gestärkt und zugleich auch die Verarbeitungskraft und Widerstandsfähigkeit der Schüler*innen erhöht.
Im Dezember 2020 haben sich die Schüler*innen aus UNESCO-Projektschulen in Osterode und in Kaolack (Senegal) in ihrem Projekt „Ein Tag auf der Erde“ virtuell ausgetauscht und viele kleinere kreative Projekte miteinander gestartet, die zu einem gemeinsamen Film der Partnerschulen führen sollen. Das im Rahmen des PASCH-Programms gestartete Projekt (zum AmS-Interview mit dem Projektinitiator) zeigt die starke Verbundenheit und Kreativität der Schülerinnen und Schüler auch in der Zeit der Krise. 2021 wird das Tilman-Riemenscheider-Gymnasium Osterode u.a. ein Solarprojekt gemeinsam mit ihren Partnern im Senegal umsetzen und damit einen Impuls für Klimabildung setzen.
Die Partnerschule der UNESCO-Projektschule aus Rüsselsheim in Bergamo (Italien) hat im Mai einen Film erstellt, um die Erfahrung in der Zeit des Lockdowns in poetischer Weise verdichtet zum Ausdruck zu bringen. Anstelle einer Austauschbegegnung haben sie so eine virtuelle Botschaft gesendet. In diesem Sinne fanden an vielen Schulen auch weitere Projekte wie z.B. gemeinsame Videokonferenzen oder auch einzelne Workshops statt. Auch kleine Videoclips der Partnerschulen in einem digitalen Adventskalender zeigen, wie internationale Verständigung an den UNESCO-Projektschulen gelebt wird und wie uns digitale Kommunikation und Kreativität auch jetzt voranbringen können.
Viele Ihrer Schulen pflegen Partnerschaften mit dem Globalen Süden. Auch ohne Corona sind Begegnungsreisen dorthin nicht immer einfach – wie gestaltet sich die Situation aktuell?
Die 282 UNESCO-Projektschulen in Deutschland pflegen Kontakte in 100 Länder weltweit. Begegnungsreisen nehmen dabei in zahlreichen Schulpartnerschaften einen festen Platz ein.
Partnerschaften mit dem Globalen Süden und entsprechende gegenseitige Begegnungsreisen brauchen eine intensive Vor- und Nachbereitung. Fehlende Finanzierungen, bürokratische oder organisatorische Hürden können mitunter die Verschiebung einer Begegnungsreise zur Folge haben, oftmals gibt es viel mehr Abstimmungsbedarf als bei innereuropäischen Austauschen.
Austausch auf Distanz spielt hier also schon immer eine wichtigere Rolle als bei europäischen Partnerschaften und Kommunikation wird dabei zentral. In Schulpartnerschaften bedeutet das auch, viele Fragen zu stellen: Welche kulturellen, kreativen Prozesse gibt es, um die Partnerschaft auszudrücken, auch wenn wir nicht beisammen sind? Geht das zum Beispiel auch über gemeinsame Songs, Buchprojekte oder T-Shirts? Gibt es sichtbare Wandgemälde in beiden Schulen vor Ort, um die Partnerschaft sichtbar zu machen? In der Zeit der Pandemie sind Schulen im Vorteil, die Unterbrechungen kreativ überbrücken können.
Während der Corona-Pandemie hat sich auch die Frage von materieller Solidarität und Zusammenarbeit in einigen Schulen noch einmal in neuer Weise gestellt. Dabei arbeiten UNESCO-Projektschulen nicht nur mit ihren Schulpartnern zusammen, sondern auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. All das zeigt, dass wir global miteinander verbunden sind!
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Bertschi.