Internationaler Bezug in der Lehrerbildung
Internationaler Bezug in der Lehrerbildung trägt zur Entwicklung einer kritischen Haltung gegenüber dem eigenen pädagogischen Handeln bei!
Rita Stegen war eine der Teilnehmerinnen der ersten Dialogkonferenz im Rahmen von "Austausch macht Schule". Für die stellvertretende Leiterin des Fachbereichs Internationaler Austausch / Europabüro im Pädagogischen Institut der Landeshauptstadt München war es ein zentrales Anliegen, die damalige Forderung, dass „jede angehende Lehrkraft ein Informationsmodul ‚projektbezogener internationaler Austausch‘ durchlaufen“ soll, in die 10 Grundsätze für den internationalen Schüleraustausch der Initiative aufzunehmen.
Frau Stegen, warum sollte jede angehende Lehrkraft ein Informationsmodul „projektbezogener internationaler Austausch“ durchlaufen?
Projektarbeit im Rahmen internationaler Austauschprogramme vertieft das „interkulturelle“ Lernen und leistet einen Beitrag dazu, die Wirkung der internationalen Erfahrung bei Schülerinnen und Schülern nachhaltiger zu gestalten.
Die aktive Partizipation aller am Austausch beteiligten Schülerinnen und Schüler ist einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg und die Nachhaltigkeit der Projektarbeit. Teilhabe und Mitbestimmung ist dabei auf allen Ebenen gemeint, d.h. organisatorisch, inhaltlich und methodisch; denn das eigene Engagement der Jugendlichen und die Verantwortung, die sie übernehmen (müssen), führen zum einen zu mehr thematischer und gruppendynamischer Identifikation und stärken zum anderen die Persönlichkeitsentwicklung („Empowerment“).
Ein projektbezogener internationaler Austausch unterstützt daher in hohem Maße das gesellschaftliche Lernen der Jugendlichen und verdeutlicht so im Sinne der „civic education“ auch die politische Dimension internationaler Austauschprogramme.
Um Lehrkräfte auf diese Art der Projektarbeit in internationalen Kontexten vorzubereiten, müssen Informations- bzw. Fortbildungsmodule Lehrerinnen und Lehrern einen Einblick in die Konzeptionierung und Durchführung solcher Projekte geben, ihnen mögliche Projektideen aufzeigen und entsprechende Unterstützungsangebote vermitteln, und sie für partizipative und diversitätsbewusste Ansätze sensibilisieren.
Warum ist eine zeitgemäße Lehrerbildung mit internationalem Bezug heute wichtiger denn je?
Zukunftsfragen der Bildung lassen sich nicht mehr allein in nationalen Kontexten diskutieren und beantworten. Über die Ländergrenzen hinweg finden sich in fast allen Gesellschaften ähnliche bildungspolitische Fragestellungen.
Einblicke in Bildungssysteme anderer Länder eröffnen neue Perspektiven, bieten Anregungen, die Unterrichts- und Bildungsqualität weiter zu entwickeln und setzen Impulse für Innovationstransferprojekte. Vor diesem Hintergrund sollte die Mobilität von Lehrkräften mit einer klaren Verbindung zur (Weiter-)Entwicklung des Schulprofils gestaltet sein. Schulische Rahmenbedingungen sind zwar unterschiedlich, die Aufgaben und Fragestellungen weisen aber oft große Schnittmengen auf, so dass aus dem Austausch über Beispiele guter Praxis diese – für das eigene System adaptiert – übernommen werden können.
Daneben leistet ein internationaler Bezug in der Lehreraus- und -fortbildung auch einen Beitrag zur Entwicklung einer kritisch-reflexiven Haltung gegenüber dem eigenen pädagogischen Handeln.
Welchen Fortbildungsbedarf in Bezug auf internationale Mobilität und Schüleraustausch melden die Lehrerinnen und Lehrer aus Ihrer Erfahrung selbst an?
In Bezug auf die Durchführung von internationalen Schulpartnerschaften und schulischen Austauschprojekten besteht in erster Linie ein Informationsbedarf zu Fördermöglichkeiten aus kommunalen, bilateralen, Bundes- oder EU-Mitteln. Organisatorisch wird immer wieder Unterstützung bei der Klärung von Rahmenbedingungen sowie bzgl. Logistik und Abwicklung eines Austauschs angefragt. Eine inhaltliche Hilfestellung wird in erster Linie in den Bereichen der thematischen Projektarbeit sowie des interkulturellen Lernens benötigt.
Neben spezifischen thematischen und pädagogischen Fragestellungen artikulieren Lehrkräfte mit Blick auf die eigene Mobilität insbesondere den Wunsch nach Dialog- und Hospitations- sowie Austauschprogrammen mit Destinationen, die es ihnen ermöglichen, Einblicke in die familiäre Herkunftsregion eines Teils ihrer Schülerschaft zu gewinnen und sich so Teile von deren Lebenswelt zu erschließen.
Und welchen Bedarf sehen Sie persönlich?
Einer der zentralen Bedarfe, die wir aktuell mit Blick auf Mobilität von Lehrkräften aber auch besonders hinsichtlich ihrer Aufgaben im internationalen schulischen Austausch sehen, ist die Ausbildung einer diversitätsbewussten Haltung, die zum einen für vielfältige Zugehörigkeiten sensibilisiert ist, zum anderen der Heterogenität in den Klassenzimmern aber auch innerhalb der Gruppen von Schülerinnen und Schülern, die an einem Austausch beteiligt sind, Rechnung tragen kann.
Einen wesentlichen Beitrag zu einer in diesem Sinne gelingenden Vorbereitungs-, Begleit- und Nachbereitungsarbeit schulischer Austauschprogramme könnte auch eine stärkere Vernetzung von Schule und Internationaler Jugendarbeit leisten [siehe dazu auch Das Beste beider Welten – warum schulische und außerschulische Bildungsarbeit zusammenfinden müssen!“, Anm.d.Red.]. Letztere verfügt über ausgewiesene Kompetenzen auf dem Gebiet der non-formalen, vielfaltsbewussten Bildung; eine engere Verschränkung und Zusammenarbeit beider Sektoren wäre eine große sowohl inhaltlich-thematische als auch methodisch-didaktische Bereicherung für internationale Austausche an Schulen. Im Bereich der Lehreraus- und -fortbildung sehe ich daher vor allem den Bedarf für Informations- und Vernetzungsangebote in dieser Hinsicht.
Was sind die größten Herausforderungen dabei, Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf internationale Mobilität und Schüleraustausch anzubieten?
Die größte Herausforderung sehen wir in erster Linie in einer zielgerichteten Disseminierung eines durchaus vielfältig angelegten Fortbildungsangebots. Aufgrund einer häufig mangelnden strukturellen Verankerung der Zuständigkeit für internationalen Austausch und Mobilitätsprojekte an Schulen, ist es häufig schwierig, die Zielgruppe engagierter Lehrkräfte tatsächlich zu erreichen.
Zum Abschluss – was ist Ihre persönlich schönste Erfahrung aus einer Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer?
Sehr berührt bin ich immer wieder, wenn Lehrkräfte uns nach ihrer Teilnahme an einem internationalen Austausch- oder Dialog- und Hospitationsprogramm zurückmelden, inwiefern sie die Erfahrung sensibilisiert hat für die Lebenswelt eines Teils ihrer Schülerschaft und zu einem vertieften Verständnis, das seinerseits Grundlage für Verständigung ist, führt.
Von besonderer Bedeutung für unseren Fachbereich – und auch mich persönlich – war aber sicher die Durchführung eines internationalen Trainingsseminars mit Lehrkräften aus Deutschland, Israel, Jordanien, Kroatien und Spanien, das von der Anna Lindh-Stiftung für den interkulturellen Dialog in der Euro-Med-Region gefördert wurde, und in dessen Zentrum das Thema des interkulturellen Lernens in Schulpartnerschaften stand.
Treffender als mit den Stimmen der Teilnehmer_innen könnte ich es nicht ausdrücken:
The seminar was an extraordinary experience (…) The impact of the relevance is much stronger than what I am able to express at the moment. (…) It opened a wider range of thinking and gave us a new language to speak. (…) As teachers, we can transmit our students a positive vision of ‚difference‘ and ‚diversity‘. We have to teach them to accept each other and to observe without judging right away. (…) Uniting Germans, Catalans, Croatians, Israeli and Jordans under one roof for a a couple of days, discussing, exchanging, eating, walking, dancing salsa – how much more dialogue can you wish for?
Aus dem Trainingsseminar im April 2013 sind weitere Austauschprojekte und -partnerschaften hervorgegangen und es soll ein follow-up-Seminar sowie langfristig eine gemeinsame Publikation geben.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Stegen!
Das Gespräch führte Malte Koppe (Deutsch-Polnisches Jugendwerk) 2015.