Kinder der Hafenstädte, über Landesgrenzen hinweg
Wenn sich Grundschüler*innen für einen Austausch ins Ausland wagen, ist das ein besonderes Ereignis. An der Hamburger Grundschule Sterntalerstraße fand letztes Jahr bereits zum vierten Mal der Schüleraustausch mit der Grundschule Nr. 15 aus Danzig in Polen statt. Renata Rutzen, Lehrerin und Koordinatorin des Schüleraustauschs, erzählt im Interview von ihren Erfahrungen mit Grundschulaustausch.
Teil 2 unserer kleinen Serie zum Thema Grundschulaustausch. Weitere Interviews folgen, Teil 1 finden Sie hier!
Frau Rutzen, Sie übernehmen bei den Schüleraustauschen auch die Dolmetscherfunktion – ist Ihr damaliger Schulleiter aufgrund Ihrer Sprachkenntnisse auf die Idee gekommen, einen Austausch mit Polen zu initiieren?
Renata Rutzen: Ja, zum einen. Zum anderen ist Polen aber auch sein Steckenpferd, er hat eine persönliche Vorliebe für das Land. Als er dann von der Schulbehörde angeschrieben wurde, mit dem Angebot der Partnerbörse des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) in Danzig, hat er natürlich sofort an mich gedacht. Er traf mich auf dem Flur und hat mir das vorgeschlagen. Mit Frankreich oder so hätte er sich wahrscheinlich nicht hinreißen lassen.
So fuhr ich im November 2015 mit der Aufgabe, eine polnische Partnergrundschule zu finden, die an einer Zusammenarbeit interessiert ist, nach Danzig. Und ich habe auch prompt eine Danziger Schule gefunden. Dass Danzig, im Norden Polens, ebenso wie Hamburg eine Hafen- und sogar ehemalige Hansestadt ist, trifft sich besonders gut.
Sie sind letztes Jahr vom Konzept Besuch-Gegenbesuch abgekommen und haben sich an einem Drittort, in Kreisau, getroffen. Hat sich das bewährt?
Drei Jahre hintereinander hatten wir Besuch-Gegenbesuch. Letztes Jahr haben wir uns in Krzyżowa (Kreisau) getroffen. Die Entscheidung für den Drittort fiel einerseits aufgrund voller Schulkalender, andererseits wollten wir auch etwas Neues ausprobieren und gucken, wie das bei den Kindern ankommt.
Beim Drittort ist immer eine Seite ein bisschen benachteiligt, da ihre Reise nicht ins Ausland geht, das ist schade. Der Vorteil liegt darin, dass die Organisation nicht nur in den Händen der Gastgeber liegt. Was jedoch sehr schade ist: In der Schule ist der Austausch dadurch nicht präsent, die polnischen Kinder wurden bei uns letztes Jahr vermisst, unser Austausch wurde eher als gemeinsame Klassenfahrt abgestempelt. Es ist auch nicht einfach, einen geeigneten Ort zu finden. Zuhause kennt man sich aus und hat seine Rituale und Orte, die man besuchen kann.
Wie reagieren die Eltern – sind sie bereit, ihre Kinder zu einem Austausch ins Ausland fahren zu lassen?
Überzeugungsarbeit brauchte es beim ersten Mal ein bisschen, aber seither ist es ein Selbstläufer. Wir organisieren einen Infoabend für Eltern und Kinder, das ist das Minimum, was die Eltern bekommen müssen, und ist meist auch ausreichend. Wir informieren dabei über das Programm, Verkehrsmittel, Kosten, Zuschüsse, zeigen aber auch Bilder und Filme aus den vergangenen Jahren und erzählen von unseren Erfahrungen.
Wir haben drei vierte Klassen, und insgesamt zehn bis 15 Kinder können mitfahren. Bisher ist das immer sehr gut aufgegangen. Wenn es in Zukunft dazu kommen sollte, dass sich zu viele Kinder interessieren, würden wir das soziale Verhalten als erstes Auswahlkriterium nehmen.
Der Eigenanteil für die Eltern ist sehr gering, letztes Jahr waren es 80 Euro. Zudem sind 50 % unserer Schüler*innen Leistungsempfänger und kriegen auch diesen Betrag erstattet. Wir sind eine KESS-1-Schule, die sozial schwächste Kategorie: interkulturell, heterogen, 90 % Migrationshintergrund. Es gibt auch immer Kinder mit polnischem Migrationshintergrund, meist mit passiven Sprachkenntnissen. Aber ein Jahr war ein Mädchen mit sehr guten Polnischkenntnissen dabei: Sie durfte in der Mitte stehen und dolmetschen – ein ganz tolles Erlebnis!
Die Reaktionen der Eltern sind sehr positiv. Gerade wenn Eltern mit türkischem oder arabischem Hintergrund uns ihre Kinder anvertrauen und uns vertrauen, ist das toll. Für einige unserer Viertklässler war der Besuch im Nachbarland Polen die erste Reise ins Ausland. Die meisten von ihnen waren – bei den Austauschfahrten nach Danzig – auch zum ersten Mal mit einem Flugzeug gereist.
Warum, finden Sie, soll man schon bei Kindern ansetzen und nicht bis ins jugendliche Alter abwarten mit Schüleraustausch? Und womit beschäftigen sich die Kinder beim Austausch?
In diesem Alter haben die Kinder noch keine Vorurteile und Stereotypen. Wenn sie dann mal da waren, einen Bezug zum Land haben, kommen Vorurteile gar nicht erst auf, das Land ist sozusagen mit Leben gefüllt.
Die Viertklässler*innen lernen seit vier Jahren Englisch und können sich mit ihren rudimentären Kenntnissen verständigen und ihr Wissen anwenden. Aufgrund des jungen Alters der Schüler*innen stand jedoch von vornherein für alle Beteiligten fest, dass sie nicht in Gastfamilien, sondern alle zusammen in einer Jugendherberge übernachten.
Letztes Jahr hieß das Thema für das einwöchige deutsch-polnische Programm „Unterwasserwelten“. Besonders gefiel den Schüler*innen der Kreativworkshop mit den selbstgebastelten Portemonnaies aus Tetrapackung, der Theaterworkshop und die Unterwasser-Party. Auch die Stadt Wrocław/Breslau war des Ausflugs wert: Sky Tower, eine Stadtführung durch die Innenstadt mit den Breslauern Zwergen und ein Einkaufszentrum mit diversen Souvenirshops.
Welches Feedback bekommen Sie von den Kindern und den Eltern? Und aus dem Kollegium?
Alles in allem waren sowohl die polnischen als auch die deutschen Schüler*innen vom Austausch begeistert: Die Kinder lernten Neues kennen, erfuhren Gastfreundschaft und es wurden viele Freundschaften geschlossen – aus unserer Sicht ein rundum gelungener Schüleraustausch!
Auch die Eltern nehmen den Austausch als sehr positiv wahr – es gab noch kein einziges Elternteil, das gemeckert hätte. Im Kollegium ist der Austausch ein fester Bestandteil, im Elterncafé ist er ebenfalls Thema. Kollegium und Schulleitung unterstützen den Austausch. Allen ist es klar, dass der Schüleraustausch eine enorme Bereicherung für die Kinder ist.
Aufgrund der aktuellen Corona-Krise fällt Ihr Austausch in diesem Schuljahr aus. Inwiefern können Sie die Kooperation trotzdem fortsetzen?
Unser Treffen in der Grenzstadt Frankfurt/Oder für April war schon geplant und die Organisation sehr fortgeschritten. Glücklicherweise entstanden noch keine Storno- bzw. Rücktrittskosten und somit werden wir versuchen, den Austausch im Frühjahr 2021 stattfinden zu lassen.
Als Vorbereitungsveranstaltung für den Schüleraustausch habe ich am 28.02.2020 den Besuch vom Polenmobil an unserer Schule organisiert. Die Schüler*innen haben sich einen kurzen Film über die polnische Hauptstadt Warschau angesehen, an einer Sprachanimation teilgenommen, und auf spielerische Art und Weise vieles über das Land und Leute erfahren.
Diese gelungene Veranstaltung bleibt im Jahr 2020 leider das Einzige, was wir an der Schule Sterntalerstraße mit polnischen Akzenten setzen konnten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Bertschi.