Partnerschaft mit vielen Verbindungen
Die Maria-Kunigunda-Schule, eine Grundschule in Essen-Karnap, pflegt seit 2020 eine Partnerschaft mit der Atatürk İlkokulu in Zonguldak-Çaycuma. Das Partnerland und die Stadt seien kein Zufall, schildert Schulleiter Udo Moter im Interview: Viele türkischstämmige Menschen in Essen-Karnap kommen aus dieser Region, die 400 Kilometer östlich von Istanbul am Schwarzen Meer liegt.
Herr Moter, warum hat Ihre Schule eine Partnerschule ausgerechnet in einer Region, die vielen Schüler:innen schon bekannt ist als die Herkunft ihrer Verwandtschaft, wo vielleicht immer die Sommerferien verbracht werden? Was gibt das diesen Kindern, und was ihren Mitschüler:innen, die einen anderen Hintergrund haben?
Udo Moter: In Essen wohnen sehr viele Menschen mit Wurzeln in dieser nördlichen türkischen Region. Es ist eine Bergbauregion, deshalb sind die Leute auch nach Essen gekommen. Als ich hier vor zwölf Jahren an der Schule angefangen habe, hatten die Kinder überwiegend türkischen Migrationshintergrund.
Der Bildungsattaché des Generalkonsulats hat uns eine Partnerschaft mit einer Schule aus Ankara vorgeschlagen. Aber wir haben uns bewusst für die Region entschieden, wo die Wurzeln vieler Schüler:innen sind, um die Partnerschaft langlebig und lebendig zu halten. Turgay Tahtabaş, Gründer des Zukunft Bildungswerks, hat an unserer Schule viele Projekte angestoßen und führt hier auch die Lernförderung durch. Er ist sehr gut vernetzt, ein wahrer Brückenbauer. Er hat den Kontakt hergestellt, unser Kollegium hat zugestimmt.
Wir bilden an den beiden Schulen Partnerklassen. Die sind jeweils verbündet, treffen sich in regelmäßigen Videokonferenzen, wo die Kinder miteinander kommunizieren, erzählen, gemalte Bilder zeigen. Die Kinder erzählen ihre Geschichte, zeigen wie sie leben. Es profitieren alle Kinder gleichermaßen. Wir sehen zum Beispiel, dass die Kinder in der Türkei Schuluniformen tragen, wie sie ihre Pausen verbringen, wie lange ihre Schultage dauern.
Sie haben im Jahr 2020 angefangen. Wie haben Sie die Partnerschaft durch die Corona-Zeit gerettet, ohne zuvor schon eine gemeinsame Basis geschaffen zu haben?
Wir hatten 2020 schon Flugtickets für den 7. April. Die Deutsch-Türkische Jugendbrücke (DTJB) hatte uns eine Finanzierung in Aussicht gestellt – das haben wir dann letztes Jahr im Mai nachgeholt. Das war die erste Austauschfahrt einer Delegation unserer Schule nach Çaycuma, was sehr schön war, es kam einem Staatsbesuch gleich: Treffen mit dem Schuldezernent, dem Bürgermeister, zwei Tage zur Hospitation an der Schule. Mit dabei waren von unserer Schule ein Lehrer, eine Erzieherin und ich, zudem unser Kooperationspartner Turgay Tahtabaş vom Zukunft Bildungswerk, der die Reise organisiert hat und auch als Sprachmittler diente – man könnte sagen, er ist der Architekt unserer Partnerschaft.
Bei einem Gegenbesuch kam dann eine türkische Delegation nach Essen und wir haben unsere Schule und Stadt gezeigt.
Vor diesen beiden Reisen waren wir aber schon aktiv: Videokonferenzen, Briefkontakte, es wurden Gastgeschenke hin und her geschickt, der Kontakt war von Anfang an sehr lebendig, wir interagieren auch zusammen auf Social Media.
Kommt mittelfristig ein Präsenzaustausch in Frage oder sollen die Begegnungen virtuell bleiben?
Einen Präsenzaustausch durchzuführen wäre zwar schön, gestaltet sich aber schwierig und setzt ganz andere Planungsschritte voraus. Ich könnte mir vorstellen, dass Kinder, die dort ihre Wurzeln haben, keine Probleme hätten, so eine Fahrt mitzumachen. Es gibt die Überlegung, mit einer kleinen Gruppe hinzufahren: Eine gemischte, klassenübergreifende Gruppe, wirklich nur die, die Freude daran hätten und wo die Eltern das inhaltlich mittragen. Vielleicht mit Aufenthalt in Gastfamilien. Eine ganze Klasse würde man nicht bewegt bekommen, es gibt auch Vorbehalte bei manchen deutschen Eltern.
Wir hatten mal die Gelegenheit, beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue aufzutreten. Das war eine dreitägige Reise nach Berlin mit sechs Kindern, schon das war ein großer Aufwand. Der Reise voraus ging eine Abfrage bei den Eltern, viel Informationsaustausch – so würde ich mir das auch bei einem Austausch vorstellen. Natürlich überwiegend mit Kindern der 3. und 4. Klassen, mit jenen, die sich im Austausch bereits aktiv betätigt haben. Wir hätten auch genügend Kolleg:innen, die das begleiten würden, die selbst von da kommen. Einer unserer Lehrer zum Beispiel kommt aus der Nachbarstadt von Çaycuma, er fährt regelmäßig in den Schulferien unsere Partnerschule besuchen, da dort noch keine Ferien sind.
Wie funktioniert die Verständigung, sprechen viele Ihrer Schüler:innen auf einem Niveau Türkisch, das für die Verständigung hilft?
Bei den Videokonferenzen spricht jeder seine Sprache und es wird übersetzt. Wir haben zum Glück genügend Lehrkräfte, die Türkisch sprechen und so alles dolmetschen können. Aber vieles geht auch ohne Sprache, etwa Bilder malen und in die Kamera halten. Zudem vermitteln wir natürlich auch ein paar Grundlagen der Partnersprache: Alle lernen, sich vorzustellen und ein bisschen Smalltalk zu führen.
Wie wirkt sich die Schulpartnerschaft auf das Schulleben aus?
Sehr stark, die ganze Schule ist involviert. Wir feiern zum Beispiel auf dem Schulhof das Fastenbrechen, alle wichtigen türkischen Feiertage werden begangen. Wir haben an der Schule eine türkische Volkstanzgruppe, die regelmäßig bei Festen auftritt, zum Teil sogar von Nachbarstädten angefragt wird. Den Lehrertag, der in der Türkei eine wichtige Bedeutung hat, feiern wir groß in der Turnhalle, das finde ich auch sehr schön. Die türkischstämmige Kollegin, die den Herkunftssprachlichen Unterricht organisiert, ist dafür verantwortlich. Das Konsulat sieht uns als wichtigen Partner und schickt zu solchen Veranstaltungen ihre Vertreter. Dabei werden wir natürlich immer als die Partnerschule der Atatürk İlkokulu in Zonguldak-Çaycuma gesehen.
Darüber hinaus profitiert die ganze Stadt Essen. Wir sehen uns als Brückenbauer: Der Bürgermeister von Çaycuma hat uns ein Geschenk für unseren OB mitgegeben. Daraufhin hat das Büro des OB angerufen, als es darum ging, eine Rede über die deutsch-türkische Partnerschaft zu halten, wir durften Argumente dafür zu liefern.
Die Kinder beschäftigen sich in Projektklassen mit der Schulpartnerschaft. Darüber hinaus gibt es den Schaukasten, Briefe der Kinder – so bekommen alle einen Einblick. Interessant ist auch, dass das Interesse bei Weitem nicht nur von den Familien mit türkischem Migrationshintergrund kommt: In der „Anatolischen Tanz AG“ zum Beispiel sind fast nur deutsche Kinder.
Hatte Ihre Schule davor schon andere Schulpartnerschaften oder internationale Kontakte?
Unser Kollegium ist sehr heterogen, wir haben zehn Nationen im Lehrerzimmer sitzen, in besonderem Maße schon immer mit türkischen Wurzeln. Im Schulleben haben wir deshalb niemals Problem mit fehlenden Sprach- und Kulturmittler:innen. Seit 2011 bin ich Schulleiter, von internationalen Kontakten über die Schule hinaus habe ich nichts mitbekommen. Aber es gab schon immer eine sehr starke Beziehung zur Türkei, zum Beispiel einen türkischen Nachhilfe-Verein an der Schule. Seit 2015 besuchen auch viele Kinder mit syrischem und irakischem Hintergrund unsere Schule, sie haben zahlenmäßig die Kinder mit türkischem Migrationshintergrund überholt.
War mit dem Eingehen der Schulpartnerschaft viel Bürokratie verbunden, bekommen Sie Unterstützung?
Wir haben die Schulpartnerschaft ganz selbständig zwischen unseren beiden Schulen geschlossen. Aus Ankara habe ich ein Schreiben bekommen, dass unsere Schule anerkannt wurden als offizielle Partnerschule. Dann habe ich mich gefragt, ob wir wohl von deutscher Seite auch eine Bestätigung benötigen oder bekommen? Das hat sich dann aber folgendermaßen geklärt: Nach dem Erdbeben haben wir vom Schulministerium einen offiziellen Brief bekommen – da wir als in der deutsch-türkischen Beziehung aktive Schule bekannt seien, wollten sie fragen, auf welche Weise wir die Türkei momentan unterstützen. Somit wusste ich dann Bescheid, dass unsere Partnerschaft wohl irgendwo registriert wurde.
Durch die virtuellen Begegnungen entstanden bisher kaum Kosten und wir mussten uns nicht um Förderungen bemühen. Die Deutsch-Türkische Jugendbrücke zeigte sich als sehr unkompliziert, sie hat uns signalisiert, dass sie unbürokratisch unterstützen würde und auch die Fördersätze genannt. Für die Delegationsreise in die Türkei haben wir über die DTJB eine Förderung erhalten, vor Ort wurden wir aber überall eingeladen. Das übrig gebliebene Geld konnten wir dann für den Gegenbesuch verwenden, sodass eine gegenseitige Form des Austauschs möglich war.
Als es um die Reise in die Türkei für unsere Delegation ging, konnte ich meinen Kolleg:innen den Sonderurlaub selbst genehmigen. Mir selbst aber natürlich nicht, den musste ich beim Schulamt beantragen. Dafür hat mir das Konsulat ein Empfehlungsschreiben geschrieben, dann ging die Genehmigung plötzlich ganz schnell.
Was ist Ihre Vision in Bezug auf internationalen Schulaustausch an Ihrer Schule?
Meine Devise ist: Wenn man eine Sache macht, dann richtig. Und nicht immer neue Projekte anstoßen. Ich kenne so viele Schulpartnerschaften oder auch Städtepartnerschaften, die nur auf dem Papier existieren. Wir wollen unsere Schulpartnerschaft lebendig halten und stärken. Wichtig ist dafür, Regelmäßigkeit einzubringen, Begegnungen entstehen zu lassen, unabhängig von der politischen Situation.
Und neben den Schüler:innen profitieren auch die Erwachsenen: Wir haben von Anfang an nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die Erzieher:innen im Ganztag eingebunden. Eine unserer Erzieherinnen hat einen sehr beeindruckenden Vortrag über Ganztag gehalten, das ist an unserer Partnerschule auf großes Interesse gestoßen, sie kannten das Konzept nicht. Langfristig möchten wir auch die Elternschaft einbinden, gerade wenn Familien in die Region reisen, können sie sich einbringen. Die Partnerschaft muss auf allen Ebenen weiter gestärkt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Bertschi.