„Qualitätskriterien wirklich sehr hilfreich“
Guten Schüleraustausch kann man an bestimmten Aspekten festmachen – »Austausch macht Schule« hat eine Zehn Orientierungskriterien für guten Austausch zusammengestellt und veröffentlicht. Doch wie können sie einer Lehrerkraft, einer Schule bei der Verbesserung konkreter Austauschbegegnungen helfen?
Stefan Doyé, Lehrer an der Berliner Brillat-Savarin-Schule (Oberstufenzentrum Gastgewerbe) hat im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme eine jährlich stattfindende Schülerbegegnung seiner Schule reflektiert. Im Interview erklärt er, wie die Qualitätskriterien auch anderen Schulen helfen können.
Herr Doyé, an Ihrer Schule sind Sie Initiator und treibende Kraft einer deutsch-polnischen Schulpartnerschaft. Wie haben Sie diesen Austausch einer „Qualitätsprüfung“ unterzogen?
Seit nunmehr 16 Jahren hat unsere Berufsschule eine Partnerschaft mit dem Technikum für Hotellerie und Tourismus in Świdnica/Schweidnitz. Unsere Schulen passen fachlich sehr gut zusammen. Dennoch liegt der Schwerpunkt unserer Austauschprogramme im Bereich der politischen Bildung, im Gegensatz zu den meisten anderen Partnerschaften unserer Schule, die überwiegend die Vermittlung berufsspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten zum Ziel haben.
Der Anlass für meine Reflexion kam von außen: Im Rahmen einer Fortbildung habe ich in diesem Jahr eine Hausarbeit über Schulentwicklungsprojekte geschrieben, das konkrete Thema war frei wählbar. Das war eine gute Gelegenheit, mich unserer Schulpartnerschaft zu widmen – einem Thema, mit dem ich mich auskenne und zu dem ich gerne einmal Bilanz ziehen wollte.
Dabei bin ich auf die Qualitätskriterien von »Austausch macht Schule« gestoßen und sie haben sich als sinnvolles Strukturierungsmittel erwiesen. An ihnen konnte ich gut zeigen, wo wir eigentlich stehen, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Ich kann alle 10 Kriterien voll unterschreiben: Sie stellen wichtige Aspekte eines guten Schüleraustauschs dar. Ich habe mich also Stück für Stück daran abgearbeitet.
Und für unseren Schulaustausch kann ich sagen: Ohne, dass ich die Kriterien vorher gekannt und mich daran orientiert hätte, wir sind überall gut dabei!
Das Wichtigste ist, dass wir eine wirkliche Partnerschaft auf Augenhöhe leben: Wir arbeiten sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung der Schülerbegegnungen vertrauensvoll zusammen. Die beteiligten Kolleginnen und Kollegen kennen und schätzen sich seit langem, es sind persönliche Freundschaften gewachsen. Das spüren auch die Teilnehmenden. Sie erleben, dass sie sich in die Planung einbringen können und dass ihre Wünsche nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Sie fühlen sich im „fremden“ Land als Freunde empfangen. Das alles schafft eine große Offenheit und ermöglicht viele positive Erfahrungen, die lange nachwirken.
Hat die Evaluation auch Schwierigkeiten zutage gebracht?
Ja, denn die Berufsbildungssysteme in beiden Ländern sind doch sehr unterschiedlich strukturiert. Es ist deshalb immer wieder ein Problem, die passenden Gruppen für eine Schülerbegegnung zu finden. Unsere polnischen Teilnehmenden zum Beispiel besuchen ein „Technikum“. Das heißt, sie sind Vollzeitschülerinnen und -schüler, deren Hauptziel das Abitur ist. Daneben erhalten sie im fachtheoretischen Unterricht erste Einblicke in das Berufsfeld der Hotellerie bzw. Gastronomie. Der praktische Anteil beschränkt sich auf kurze Betriebspraktika.
Für die deutsche Gruppe können wir aus verschiedenen Bildungsgängen an unserer Schule wählen: Entweder sind es Auszubildende im Dualen System, dann liegt ihr Schwerpunkt eindeutig auf der praktischen Ausbildung im Betrieb und der Besuch der Berufsschule spielt eine untergeordnete Rolle. Hier steht der berufstheoretische Unterricht im Vordergrund, die Allgemeinbildung spielt so gut wie keine Rolle.
Eine andere Möglichkeit sind Klassen der Berufsoberschule. Das sind junge Erwachsene, oft schon etwas älter, die nach erfolgreicher Berufsausbildung das Abitur nachholen. Oder wir wählen eine Klasse des Beruflichen Gymnasiums aus. Diese absolvieren eine ganz normale Abiturausbildung mit dem Zusatzfach Ernährungswissenschaften, aber ohne jeden berufstheoretischen oder -praktischen Unterricht.
Im berufsbildenden Bereich muss man also immer etwas basteln, um die passenden Gruppen für einen Austausch auf Augenhöhe zu finden, mal gelingt es besser, mal nicht ganz so gut.
Ein zweites Problem ist, dass die Förderkriterien des Deutsch-Polnischen Jugendwerk (DPJW) nicht immer besonders gut zu unseren Rahmenbedingungen in der Berufsbildung passen. Das DPJW ist an vielen Stellen sehr entgegenkommend und verständnisvoll für unsere Belange, aber natürlich haben sie auch gewisse Kernkriterien, die unbedingt eingehalten werden müssen.*
Zum Beispiel ist es für uns manchmal schwierig, die Vorgabe der vier zusammenhängenden Programmtage zu erfüllen, da unsere Schülerinnen und Schüler oft nur für drei Tage an der Berufsschule sind. Für den vierten Tag sowie die An- und Abreise müssten die Azubis von den Betrieben eine zusätzliche Freistellung bekommen, viele Personalverantwortliche wollen oder können diese aber nicht gewähren – trotz Anspruchs der Auszubildenden auf Bildungsurlaub. Wenn wir nach Polen fahren, ist das Verständnis noch eher da, aber als Gastgeber in Berlin? Da sehen manche Betriebe die Notwendigkeit für eine Teilnahme nicht.
Oder ein zweites Beispiel: Natürlich stellt man sich immer vor, dass die Gäste in Gastfamilien wohnen. Aber das ist bei uns leider nicht möglich, weil wir die Eltern nicht kennen. Unsere Auszubildenden wohnen über das ganze Berliner Stadtgebiet verteilt, manche wohnen auch alleine oder in einer WG. Da können wir einen Aufenthalt der minderjährigen Gäste in Gastfamilien nicht verantworten. Also wohnen die Gäste im Hostel, die Gastgeber zuhause. So haben sie weniger Alltag gemeinsam, was sehr schade ist.
Inwiefern haben Ihnen die Kriterien von »Austausch macht Schule« letztlich geholfen?
Ich fühlte mich bestärkt in dem, was ich mache. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, stellen einen offenen Zugang und eine angemessene Vorbereitung sicher, versuchen, ein partizipatives Programm zu gestalten usw.
Ein Punkt aber ist mir noch deutlicher als vorher klargeworden, nämlich wie wichtig es ist, dass die schulischen Rahmenbedingungen passen.
Das läuft an meiner Schule wirklich gut: Die Schulleitung und die meisten Kolleginnen und Kollegen unterstützen den internationalen Austausch nach Kräften. So können unsere Gäste am praktischen Unterricht in den Lehrküchen teilnehmen. Andere Kollegen wiederum übernehmen bereitwillig Vertretungsunterricht während der Schülerfahrten.
Ein Punkt hat sich aber in den letzten Jahren zunehmend als problematisch herausgestellt: Schüleraustausch findet zusätzlich zum normalen Unterricht statt. Es gibt keine zeitliche Entlastung in anderen Bereichen. Wenn man das als Lehrer macht, dann de facto zulasten der eigenen Familie oder der Freizeit. Es hängt also immer an den Idealisten, die sich besonders engagieren. Die Programmplanung für die Woche in Berlin, die Abrechnung und das Berichteschreiben – das passiert alles neben meiner normalen Unterrichtstätigkeit. Hier wäre es super, professionelle Hilfe zu bekommen.
Stichwort schulische Rahmenbedingungen: Sie plädieren in Ihrer Hausarbeit für Drittortbegegnungen. Soll das zu einer Entlastung der Lehrkräfte führen? Oder gibt es noch andere Vorteile?
Ich habe mit Drittortbegegnungen noch keine Erfahrung, aber ich erhoffe mir davon tatsächlich auch eine signifikante Erleichterung. Bei Erasmus+ zum Beispiel gibt es ein Budget für Projektmanagement, es gibt Agenturen und Bildungsträger, die sich darauf spezialisiert haben und einem diese Arbeit zum großen Teil abnehmen. Das wäre eine große Entlastung. Beim DPJW oder von Seiten der Senatsschulverwaltung ist dies jedoch bisher nicht vorgesehen.
Das ist aber gar nicht der entscheidende Punkt, der für Drittortbegegnungen spricht. Viel wichtiger für uns ist, dass freie Träger der Bildungsarbeit vielfältige Erfahrungen im Bereich des internationalen Austauschs besitzen. Davon wollen wir im Interesse der Austauschteilnehmer*innen profitieren. Diese Zusammenarbeit würde auch dem Qualitätskriterium „Qualifizierte Leitung“ entsprechen, da damit noch mehr Expertise zusammenkäme.
Dafür bieten sich in Berlin beispielsweise die Jugendbildungsstätte „Haus Kreisau“ der Evangelischen Berufsschularbeit an. Auch in Polen bestehen zahlreiche Angebote, z. B. die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Kreisau/Krzyżowa oder die Bildungsstätte Schloss Muhrau/Morawa.
Ein gemeinsam gestalteter Aufenthalt in einer Bildungsstätte könnte zudem den persönlichen Austausch zwischen den Teilnehmenden aus beiden Ländern noch weiter intensivieren, weil sie dann eine Woche gemeinsam verbringen und nicht nur tagsüber ein Programm absolvieren würden.
Sie schreiben: „Die Planung eines Austauschprogramms konkurriert mit den eigenen Wünschen der Schüler nach freizeitorientierten Klassenfahrten.“ Inwieweit bietet es sich unter diesen Umständen an, entsprechend der Qualitätskriterien, die Schülerinnen und Schüler aktiv einzubinden?
Natürlich ist es manchmal schwierig, sie von der Idee zu überzeugen, an einem Austausch mit Polen teilzunehmen. Sie sagen sich: „Wenn schon eine Woche weg, dann lass uns doch nach Mallorca fahren, was sollen wir bitteschön in Polen?“
Wenn sie dann aber dort waren, kommen sie in der Regel sehr positiv und motiviert zurück, sind begeistert von der Gastfreundschaft – das kennen sie aus Berlin ja oft gar nicht! Wieder zuhause sind sie enthusiastisch und voller Ideen, was sie in Berlin zeigen möchten. Und zwar nicht nur Sehenswürdigkeiten: Sie finden es toll, ihren Betrieb zu zeigen, und das finden auch die Hotels, ihre Arbeitgeber, gut. Die Teilnehmenden schlüpfen dann in eine andere Rolle, im schicken Anzug oder Kleid, ganz stolz, als Repräsentanten ihres Betriebes.
Für die gemeinsame Programmplanung mit den Schülerinnen und Schüler gibt es aber vor allem ein zeitliches Problem: Im Regelfall sehen wir die Auszubildenden nur für wenige Tage alle drei, vier Wochen. Wenn dann der Unterricht für die Fahrt nach Polen schon eine ganze Woche lang ausfällt, ist es umso schwerer, darüber hinaus noch Zeit für die Vorbereitung des Austauschs zu finden. Bewährt hat sich hierbei ein Projekttag mit dem PolenMobil, der auch eine kreative Sprachanimation beinhaltet.
Nichtsdestotrotz ist es für den Erfolg eines Austauschs sehr wichtig, dass die Teilnehmenden frühzeitig die Möglichkeit erhalten, sich an der Programmgestaltung zu beteiligen und eigene Interessen und Fähigkeiten einzubringen. Dadurch wird ihre Identifikation mit dem gesamten Austauschprojekt sehr gefördert.
Wir planen deshalb immer zentrale Programmpunkte ein, bei denen die deutschen und die polnischen Teilnehmenden gemeinsam aktiv werden können. Besonders erfolgreich – und inzwischen unverzichtbarer Bestandteil – ist ein gemeinsames Kochen und anschließendes gemeinsames Essen. Nichts verbindet mehr, als die praktische Arbeit in der Küche und das gesellige Beisammensein im Anschluss! Dies entspricht zudem auch einem weiteren Aspekt des genannten Qualitätskriteriums zur Partizipation: Die eingesetzten Methoden dienen der Verständigung, der Erfahrung von Selbstwirksamkeit und dem gemeinsamen Lernen.
Was empfehlen Sie den Kollegien an anderen Schulen: Welche Unterstützung können die Qualitätskriterien bieten?
Wenn man schon einige Erfahrungen mit Austauschprogrammen hat und darüber nachdenken möchte, was bisher gut gelaufen ist und was vielleicht eher nicht, dann sind die Qualitätskriterien wirklich sehr hilfreich. Aber auch für Einsteigerinnen oder Einsteiger, die einen neuen Schüleraustausch planen, sind sie gut geeignet. Die Liste ist überschaubar und man kann sich leicht vorstellen, worauf es wirklich ankommt.
Entscheidend ist ja, dass die jungen Leute etwas mitnehmen, dass der Austausch eine positive Erinnerung und Bereicherung für ihr Leben wird!
Das Interview führte Christine Bertschi.
* Wie auch die anderen Fach- und Förderstellen ist das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) immer bemüht, Lösungen für konkrete Projektideen auch im beruflichen Austausch und unter den dort gegebenen Bedingungen zu finden. Die Kolleginnen und Kollegen stehen jederzeit für Fragen bereit. Das DPJW fördert den beruflichen Jugendaustausch in Form von beruflichen Begegnungen sowie auch Einzel- und Gruppenpraktika im Nachbarland. Informationen zur Förderung und praktische Hinweise zur Organisation von deutsch-polnischen berufsbezogenen Projekten bietet die vom DPJW erstellte Plattform Berufliche Perspektiven.