Schutzkonzepte sind ein Qualitätsmerkmal!
Seit 2014 setzt sich AJA als Partner des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesrepublik Deutschland (UBSKM) in der AG Schutzkonzepte mit zahlreichen weiteren Verbänden und Institutionen für die flächendeckende Einführung und Umsetzung von Präventionsmaßnahmen ein. Wir sprachen im August 2018 mit Johannes-Wilhelm Rörig über dessen Aufgaben.
Herr Rörig, seit wann gibt es Ihr Amt als Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und was ist Ihre Aufgabe?
Ich bin seit Dezember 2011 Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das Amt wurde nach dem sog. Missbrauchsskandal in 2010 ins Leben gerufen.
Ich bin Ansprechpartner für Betroffene, für Fachleute aus Wissenschaft und Praxis und für alle, die sich gegen sexuelle Gewalt an Kindern engagieren. Über das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (Tel. 0800 22 55 530) und das Hilfeportal Sexueller Missbrauch können sich Menschen an uns wenden, die Hilfe benötigen oder Fragen zum Thema haben.
Ich setze mich besonders für eine bessere Prävention in Kitas, Schulen oder Sportgemeinden ein und unterstütze sie mit den bundesweiten Initiativen „Kein Raum für Missbrauch“ und „Schule gegen sexuelle Gewalt“.
Außerdem fordere ich verbesserte Hilfen für Betroffene sowie einen Ausbau der Fachberatung und richte entsprechende Empfehlungen und Forderungen an die Politik von Bund und Ländern. Ziel meiner Maßnahmen ist die breite und umfassende Sensibilisierung der Öffentlichkeit und ein Rückgang der unverändert hohen Fallzahlen.
Was ist die AG Schutzkonzepte des UBSKM und was leistet sie mit ihrer Arbeit?
Mit 26 Dachorganisationen der Zivilgesellschaft, u. a. den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und Verbänden der Kinder- und Jugendreisen habe ich 2015 Vereinbarungen zur Einführung von Konzepten für Schutz und Hilfe bei sexueller Gewalt in Einrichtungen und Organisationen geschlossen. Diese Partner treffen sich ein- zweimal jährlich in der AG Schutzkonzepte.
Wir beraten über das von mir beauftragte Monitoring zu Stand der Prävention sexualisierter Gewalt, das vom Deutschen Jugendinstitut umgesetzt und von den Vereinbarungspartnern unterstützt wird. Wir planen aber auch Aktivitäten einzelner Partner im Rahmen meiner Initiative „Kein Raum für Missbrauch“ und wir tauschen uns über gute Praxis aus, mit der die Verbände und Organisationen die Entwicklung von Schutzkonzepten vor Ort voranbringen.
Warum sollten Jugendaustauschorganisationen Präventionskonzepte entwickeln?
Wir gehen davon aus, dass in jeder Schulklasse ein bis zwei betroffene Schülerinnen und Schüler sind. Am häufigsten finden sexuelle Übergriffe in der Familie, im sozialen Umfeld oder durch Gleichaltrige statt, aber auch in Einrichtungen und zunehmend mittels digitaler Medien. Alle Organisationen, denen Kinder und Jugendliche anvertraut sind, brauchen daher Schutzkonzepte – um nicht selbst zum Tatort zu werden und um Mädchen und Jungen zu helfen, die Missbrauch andernorts erfahren.
Im Jugendaustausch müssen spezifische Aspekte, wie die besondere Situation ohne schützendes Umfeld durch Familie und Freunde im Gastland zu sein, berücksichtigt werden. Auch die besondere Nähe bei der Unterbringung in Gastfamilien spielt natürlich eine Rolle. Schutzkonzepte ermöglichen Prävention und einen professionellen Umgang mit Vorfällen, aber auch mit falschem Verdacht.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, vor denen Jugendaustauschorganisationen beim Thema Prävention stehen?
Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein Thema, dass erst mal auf Ablehnung und Verdrängen stößt. Die Auseinandersetzung mit Ausmaß und Täterstrategien fällt selbst professionellen Pädagoginnen und Pädagogen schwer. Oft herrscht das Bild vor, wenn sich eine Organisation mit Prävention und Hilfe befasst, muss es konkrete Vorfälle geben und das führe zu einem negativen Image. Das Gegenteil ist der Fall: Schutzkonzepte sind ein Qualitätsmerkmal!
Der professionelle Umgang mit Verdacht, der bestmögliche Zugang zu Hilfe für Betroffene, aber auch eine alltägliche pädagogische Prävention und die gute Beteiligung von Jugendlichen und Eltern an den Verfahren – all das muss eine Organisation für sich erarbeiten und ständig im Blick behalten, auch wenn neue Personen dazu kommen. Das kostet Zeit und braucht in der Regel auch eine externe Kooperation zum Beispiel mit einer Fachberatungsstelle. Sich gegen Schutz und Hilfe bei sexueller Gewalt zu entscheiden, kann aber keine Alternative sein.
Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Rörig!
Das Interview führte Dr. Uta Wildfeuer (AJA)